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Dieu est sur tous les astres

       
     
       
     

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Dieu est sur tous les astres
Nostradamus der Schwarzseher

Noch 500 Jahre nach seiner Geburt gilt Nostradamus als Künder von Krieg und Katastrophen. Auch wenn er es mit den Sternen nicht so genau nahm: Seinen Nachruhm hat er richtig vorhergesagt.

Während der unheilvollen Stürme also werde ich sie zerreiben, wird der Herr sagen, und sie zerbrechen und kein Mitleid haben." Es ist beängstigend, was der Meister seinem Sohn César für die Zukunft zu sagen hat. Nichts als Grauen droht demnach, kein göttliches Erbarmen wird das hereinbrechende Elend lindern: Hunger, Seuchen und Krieg und immer neue Not bis hin zum ewigen Verderben. In Hunderte von mysteriösen Vierzeilern ist das kommende Unheil gefasst. "Und dies", wie sein Künder freimütig gesteht, "zusammengestellt, in nicht abgerundeter Sprache die Orte, Zeiten und den bestimmten Termin festsetzend." Aber das macht die Zeilen nur noch spannender.

César ist erst zwei Jahre alt, als ihm der Vater den dunklen Brief zur Widmung seines Werkes schreibt. Viele lange Sätze in sperrigem, mit lateinischen Brocken versetztem Französisch. Alles ohne einen einzigen Absatz und mit Satzzeichen wie aus dem Salzstreuer. Doch der Kleine muss ja noch nicht begreifen. Es eilt nicht, denn was da verheißen wird, soll für alle kommenden Generationen gelten. "Wenn die Zeit kommt", verspricht der Autor, "wird die menschliche Unwissenheit aufgehoben werden, und der Fall wird sehr klar sein." Wann das sein wird? Eine vage Spur gibt es: "Fünfhundert Jahre plus rechnen, wird jener, der eine Zierde seiner Zeit war, durch einen großen Schlag große Klarheit bringen, was die aus diesem Jahrhundert sehr zufrieden macht."

Fünfhundert Jahre nach der Geburt

des überfließenden Schreibers - "plus rechnen"! - ist der Fall allerdings ganz und gar nicht klar. Heerscharen von Deutern in aller Herren Länder suchen nach Schlüsseln und Zeichen, um dem alten Meister auf die Spur zu kommen. Doch weiter umhüllt ein dichter Nebel aus Fragen und wüsten Spekulationen die berühmtesten, umstrittensten und wohl auch düstersten Weissagungen, die je so geballt unters Volk gebracht wurden - die Prophezeiungen des "Meisters Michel Nostradamus".

Dominierte er zu Lebzeiten schon mit Geschick und Glück die damals nicht kleine Zunft der Zukunftsdeuter, so erstrahlte der Ruf des provenzalischen Sehers nach seinem Tod bald in beinahe göttlichem Glanz - Sohn und Sekretär polierten eifrig und erfolgreich. "Flieh! auf! hinaus ins weite Land! und dies geheimnisvolle Buch, von Nostradamus' eigner Hand, ist dir es nicht Geleit genug?" So fragt Geheimrat Goethe im ersten Teil seines "Faust". Nostradamus als Lebenshilfe. Denn auch da, wo Bibel und Kirche ihren Einfluss einbüßen, scheint der Wunsch nach geordneten Verhältnissen, nach Plan und kalkulierbarem Ziel ungebrochen - "eine verdammte Furcht vor dem Zufall" diagnostiziert der italienische Mittelalterspezialist und Bestsellerautor Umberto Eco beim Menschengeschlecht.

Da wirkt ein Nostradamus wie Baldrian.

Ohne jede ernst zu nehmende Konkurrenz steht sein Name heute wie eine Handelsmarke für das geheime Wissen über jenseitige Schicksalslenkung. Von Ewigkeit zu Ewigkeit, so scheint es, wurde Nostradamus offenbart, was gewöhnlichen Menschen verborgen bleibt. Der Dreißigjährige Krieg, Menschenschinder wie Napoleon und Hitler, Wirtschaftskrisen, Aids und Terroranschläge wie die vom 11. September 2001. Er hat alles schon gewusst! Sagen mit leuchtenden Augen seine Jünger. Er ist der Prototyp des Scharlatans! Entgegnen angewidert die Nüchternen. Doch so sehr der Meister die Geister auch scheidet - auch nach einem halben Jahrtausend, so scheint es, hat der Name Nostradamus nichts von seiner verführerischen Kraft eingebüßt.

"Es wird einen großen Donnerschlag geben, zwei Brüder werden auseinander gerissen durch Chaos während die Festung leidet. Der große Führer wird weichen. Der dritte Weltkrieg beginnt, wenn die große Stadt brennt." Die Wolken aus Staub und Rauch liegen noch wie ein Nebel über Manhattan, als solche und ähnliche Zeilen im Internet auftauchen.

"Nostradamus" wird schon kurz nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 zu einem der meistgetippten Begriffe in den Suchmaschinen des World Wide Web - weltweit schreit die offenbar tief verletzte und verunsicherte kollektive menschliche Psyche nach Halt, Hilfe und Hoffnung. Hat denn niemand etwas gewusst? Haben nicht wenigstens die Propheten etwas zu sagen, wenn schon die Geheimdienste versagten? Und da tauchen dann diese Zeilen auf. Ja, er hat es wieder einmal gesehen!

Tatsächlich aber handelt es sich um eine Fälschung, einen Mischmasch aus herausgerissenen Versbrocken und Hinzugedichtetem. Wenn überhaupt etwas passt aus den originalen Weissagungen des Franzosen, dann wohl dies: "Mit fliegendem Feuer, der listige Anschlag, wird kommen den großen belagernden Führer zu verwirren: innerhalb wird solcher Aufruhr sein, dass die Verfolger in Verzweiflung sein werden." Das ist der 34. Vierzeiler ("Quatrain") aus dem sechsten Hunderterblock ("Centurie") der Prophezeiungen. Doch dieser Quatrain klingt schon weit weniger vorausschauend. Und eigentlich war er am Tag der Anschläge auf New York und Washington auch schon vergeben: Denn als am 28. Januar 1986 die Raumfähre Challenger mit sieben Astronauten an Bord über Florida explodierte, da waren es dieselben und schon damals nicht so ganz passenden Zeilen des Nostradamus, die dessen mystische Zukunftsschau belegen sollten: "Mit fliegendem Feuer?"

Es sind nicht nur Menschen mit engem geistigem Horizont, die dem Seher einen Platz in ihrem Leben einräumen. Ob Fußballer oder Forscherin, Nostradamus weiß viele zu faszinieren: für Stefan Effenberg ist der Prophet die geschichtliche Lieblingsgestalt überhaupt. Und die Gründerin des Allensbacher Instituts für Demoskopie, Elisabeth Noelle-Neumann, erinnerte sich kürzlich in einem Aufsatz an ihre erste Begegnung mit dem Werk des Renaissance-Astrologen in Berlin 1940 und gestand, damals, lange vor dem Debakel von Stalingrad, habe sie dank Nostradamus gewusst, dass Deutschland den Krieg verlieren würde.

In Krisenzeiten vor allem

hat der Wahrsager Konjunktur, wenn Orientierung gesucht wird in der Bedrängnis und Veränderung in der Luft liegt. Schon Nostadamus' frühe Lyoner Verleger und ihre Nachfahren hatten dafür gesorgt, dass über die Jahrzehnte immer neue Auflagen erschienen - es gab für die Menschen ja durchweg Gründe, sich große Sorgen zu machen und Hilfe zu suchen im Himmel oder wenigstens bei einem angeblichen Mittler der angeblich höheren Mächte. Und natürlich wurden solche Ängste auch weiter gern bedient: So brachte der Sohn des Nostradamus-Verlegers, Pierre Rigaud, im 17. Jahrhundert eine ganze Reihe von Neuausgaben heraus, denen er, des besseren Marketings wegen, die Zahl 1566 aufdrucken ließ, das Todesjahr des Autors.

Nicht nur die Werke des Meisters selbst, viel mehr noch das, was andere in ihnen lesen, deuten und daraus zusammenfantasieren, verkauft sich bis heute blendend. 1072 englischsprachige Werke offeriert der US-Internet-Buchhandel Amazon zu Nostradamus, 168 Bücher, zwölf Videos und zwei DVDs finden sich im deutschen Angebot. Dazu abstruse Websites mit Prognosen für so ziemlich alles, vom Klimaschock bis hin zum Dritten Weltkrieg. Und natürlich hat jeder der Nachfolgepropheten den einzig wahren Schlüssel zum Werk des Weisen gefunden. Exklusiv und ganz geheim! Auch die Prophezeiungen für das kommende Jahr sind schon entschlüsselt. Im vierten Quatrain der zehnten Centurie steht alles Wichtige, jedenfalls wenn man Manfred Dimde glaubt, einem der führenden deutschen Interpreten des Nostradamus: "Hoch zur Mitternacht der Armeeführer wird sich retten. Plötzlich ist er auserwählt bei der Eins. Sieben Jahre danach - die Seele wird nicht verflucht. Bei seiner Rückkehr man wird sagen - ein Unze wo zehn." Na, das wird was werden!

Sogar im Fernen Osten ist der Weise

inzwischen angekommen: Während der so genannten Ölkrise vor 30 Jahren erreichte das Werk des Nostradamus erstmals Japan - und wurde sogleich zum Bestseller. Der zweite Boom folgte mit dem ersten Irak-Krieg 1991, der dritte unmittelbar vor der Jahrtausendwende. Mehr als 30 Titel zum Thema erschienen allein unter Nippons Sonne innerhalb eines Jahres. Keine Frage: Nostradamus ist ein interkulturelles Phänomen und dazu eines für alle Epochen. So hat er es gewollt - auch wenn die Prophezeiungen und die Sorge um den Nachruhm erst das letzte Jahrzehnt eines bewegten Lebens prägten, das zunächst keinerlei Anzeichen für globale Bedeutung zeigte.

Es ist zur Mittagszeit des 14. Dezember 1503, als Reynière de Saint-Rémy ihr erstes Kind, Michel, zur Welt bringt. Die Familie ist recht wohlhabend. Ehemann Jaume hat Erfolg als Händler und schafft es zudem, sich ein paar Jahre nach der Geburt seines Ältesten als Rechtsbeistand zu etablieren. Zwar ist er kein studierter Anwalt, aber für die Ausfertigung lateinischer Urkunden und juristischer Schriftstücke reichen seine Talente offenbar. Stolz setzt er unter jedes Dokument ein selbst entworfenes Siegel: "A me Jacobo de nostra domina". Auch die Kinder machen ihren Weg. Jehan etwa, vier Jahre jünger als Michel, wird ein geschätzter Advokat, Bertrand ein reicher Kaufmann, Antoine sogar Konsul von Saint-Rémy-en-Provence. Kurz, die Familie hat es zu etwas gebracht trotz ihrer problematischen Herkunft. Denn die ist jüdisch.

Zu Tausenden waren aus Spanien die dort als "Marranos" (Schweine) beschimpften und unter dem Druck von Kirche und Krone getauften Juden über die Grenze nach Südfrankreich gekommen, als sich die "allerkatholischsten Majestäten" Isabella und Ferdinand im Jahr der Amerikafahrt des Columbus nicht nur der Mauren, sondern per Edikt auch der Hebräer entledigt hatten. Die Vorfahren Michels waren vermutlich sogar schon vorher geflohen, um den immer schlimmer werdenden Verfolgungen zu entgehen. Michels Großvater väterlicherseits, Kornhändler und Geldverleiher in Avignon, nimmt als Erster seiner Sippe einen unverwechselbar christlichen Namen an und nennt sich zunächst Pierre de Sainte-Marie, später Pierre de Nostredame - wer den Apostelfürsten Petrus und die Gottesmutter im Namen vereint, muss doch zumindest im halbwegs liberalen Avignon auf der sicheren Seite sein.

Mit "Michaletus de nostra domina"

unterschreibt dann auch sein Enkel bis ins Erwachsenenalter: Michelchen von Unserer Lieben Frau. Mit 16 beginnt er seine Studien an der Universität von Avignon mit dem mittelalterlichen Basisprogramm aus Grammatik, Rhetorik und Logik. Die nächste Stufe aber erreicht er nicht mehr, denn bereits ein Jahr später, Ende 1520, bricht in der Stadt die Pest aus. Die Universität schließt, und wer noch fliehen kann, eilt aufs Land, wo fernab der Menschenmassen noch die besten Überlebenschancen bestehen. So beginnt Michel seine Wanderjahre. Keine romantischen Jahre allerdings mit einem Lied auf den Lippen und Liebschaften hier und da. Die Zeiten sind grausam. Nicht nur die Pest wütet, sondern auch der Krieg. Frankreich streitet gegen das Heilige Römische Reich unter der Führung des neuen Habsburger-Kaisers Karl V. Und selbst das Klima spielt den Menschen übel mit: Der Winter 1523 ist so kalt, dass alles Getreide erfriert. Die "kleine Eiszeit" hat Europa jahrzehntelang im Würgegriff, und so macht auch Frankreich eine Hungersnot nach der anderen durch. Dann füllen sich jedes Mal die Städte - und die nächste Seuche droht. Wie soll da einer frohgemut in die Zukunft sehen?

In einem seiner vielen Bücher schreibt Michel de Nostredame später, er habe die meisten seiner jungen Jahre mit dem Studium der Pharmazie und "der natürlichen Heilmittel in verschiedenen Gegenden und Ländern" zugebracht. Wahrscheinlich hatte sein Urgroßvater, der Arzt Jean de Saint-Rémy, Michels Interesse für die Medizin geweckt. Das Erbe des Patriarchen aus der Familie seiner Mutter begründet auch noch eine zweite Leidenschaft: Als Jean starb, hinterließ er seinem Urenkel ein Astrolabium, mit dem sich die Positionen der Sterne bestimmen und vorausberechnen ließen. Zwar hütete Michel das Gerät wie einen Schatz und vermachte es seinem Lieblingssohn Cèsar, doch zunächst ist es allein die Heilkunst, die den Jungen fasziniert.

"Michelchen", wie er sich auch mit 26 Jahren noch nennt

, schreibt sich in die damals berühmte medizinische Fakultät von Montpellier ein. In fürchterlichem Latein krakelt er das Datum seines Eintritts: "am 23. Tag des Monats Oktober 1529, des eintausendfünfhundertneunundzwanzigsten, am Tag wie oben, 1529." Derlei konfuses Geschreibsel allein wäre sicher kein unüberwindliches Hindernis auf dem Weg zum Doktorat gewesen. Doch der junge Studiosus, sehr angetan vom eigenen Talent und von den gesammelten Erfahrungen seiner heilkundlichen Wanderschaft, kann es nicht erwarten, seine Kunst zu beweisen: Wegen Quacksalberei und übler Kommentare über seine Lehrer, so bezeugt es der Registrar, fliegt er von der Universität. Und nichts deutet darauf hin, dass er je wieder aufgenommen wurde. Zwar wird er manchmal Doktor genannt, nachdem er es schon zur Berühmtheit gebracht hat, aber wohl nur aus Schmeichelei. Er selbst belässt es in später eher ungewohnter Bescheidenheit beim "Meister" und trägt den einfachen schwarzen Talar, nicht den roten der promovierten Gelehrten.

Wie auch immer, die Karriere hat um 1529 einen schweren Knacks erlitten. Doch, und das ist ganz typisch für Nostradamus, er vergräbt sich nicht in seinem Unglück und auch nicht in der Scham über sein Versagen, sondern er blickt in die Zukunft - zunächst nur in die eigene. Er liest, was er in die Finger bekommt, reist kreuz und quer durch die heimatlichen Gefilde, bereist dann Italien, kommt bis Neapel und Sizilien, hält sich vielleicht auch in Deutschland auf.

Es ist die Zeit der Reformation.

Päpste wie Leo X. - ein schwitzendes, in Luxus schwelgendes Dickerchen mit dem imposanten Stammbaum der Florentiner Medici - können die Spaltung der Kirche nicht mehr abwenden. Zumindest in Frankreich aber wird unter König Franz I. der traditionelle Glauben hochgehalten. Polizei und dann auch die päpstliche Elitetruppe des 1534 gegründeten Jesuitenordens durchforsten den eben erst aufstrebenden Buchhandel und beschlagnahmen rigoros, was der Orthodoxie römischer Prägung zu widersprechen scheint. Den von Luther und später Calvin angestifteten Ketzern selbst geht es nicht nur an die Gesinnung - ab 1559 werden Glaubensabweichler auf Befehl des nun regierenden Heinrich II. ausnahmslos zum Tod verurteilt.

Da sich Michel de Nostredame zunächst noch auf die Medizin beschränkt, droht keine Konfrontation mit den Wächtern der Gegenreformation. Er ist Ende 20, als er so ziemlich alle großen Namen abgeklappert hat, die bis dahin aus der medizinischen Fakultät von Montpellier hervorgegangen waren. In Bordeaux und Toulouse, Narbonne und Carcassone "sammelt" er die Ärzte, ihre Medikamente und Methoden, die er später zu einem eigenen Rezeptbuch zusammenfasst.

1531, mit 28,

bringt er zunächst etwas Stabilität in sein unstetes Leben. Dafür ist zum einen seine Ehe mit Henriette d'Encausse verantwortlich, von der sonst so gut wie nichts bekannt ist. Ein Junge und ein Mädchen kommen zur Welt. Zu einer beruflichen Verbesserung führt im selben Jahr die Begegnung mit Julius Caesar Scaliger. Der gebürtige Italiener ist ein brillanter, aber ziemlich aufgeblasener Universalgelehrter, der seinen Ruhm vor allem den rabiaten Schmähschriften verdankt, mit denen er so ziemlich alle überzieht, die damals öffentlich zu denken wagen. An Michel de Nostredame aber findet der Wüterich offenbar Gefallen, er stellt ihn als seinen Apotheker ein. Endlich ein wenig Ruhe also. Aber die währt nicht lange.

Mit Scaliger kommt es, wie es kommen musste: Nostredame sei ein "Lump" und "Bandit", ein "krimineller Bettler" und "irrer Plapperer", wettert er dem einstigen Günstling hinterher. Auch das Familienglück ist kurz. Schon drei Jahre nach der Heirat sind Frau und Kinder der Pest zum Opfer gefallen. Die Lage spitzt sich zu, weil ihn die Familie seiner Frau offenbar auf Rückgabe der Mitgift verklagt. Und auch die kirchliche Inquisition scheint sich für Nostredame zu interessieren: Angeblich hat er den Bronzeguss einer Marienstatue als "Teufelswerk" bezeichnet, was ihn der Sympathie für die bilderstürmenden Reformatoren verdächtig macht - und wieder geht es auf eine lange Reise.

Im Frühjahr 1546 ist er in Aix-en-Provence

, als die Pest ein weiteres Mal zuschlägt. Die örtlichen Doktoren folgen offenbar dem knappen Rat eines berühmten Kollegen aus Toulouse: "Schnell hinaus, lange wegbleiben, spät zurückkehren." Nostredame bleibt, und so bekommt der heilkundliche "Maistre" einen Vertrag für den Kampf gegen die Seuche.

In Aix entwickelt er das Rezept für seine später berühmten Rosenpillen gegen die Pest, deren Mixtur sich auch für "aromatische Seifen" und "duftende Wässer" eignet, wie er in seinem Rezeptbuch schreibt. Gegen die Pest allerdings kann er nichts ausrichten. Neun Monate wütet der Schwarze Tod: "Die Friedhöfe waren so voller Leichen, dass sich kein geweihter Grund mehr fand, um sie zu begraben."

Als das massenhafte Sterben endlich aufhört

, hält man das dennoch dem Arzt zugute. Tatsächlich gelangt Michel de Nostredame in den Ruf eines großartigen Pestarztes. Wer wollte es ihm verübeln, dass er nicht widersprach. Auf Aix folgen das nahe gelegene Salon und dann auch Lyon, die er von der Geißel der Seuche befreien soll. Die Pest bringt Nostredame endlich voran. Und auch privat geht es aufwärts: Am 11. November 1547 heiratet er in Salon die reiche Anwaltswitwe Anne Ponsarde, drei Jahre später bezieht er mit ihr ein frisch renoviertes Haus im 5000-Seelen-Städtchen Salon. Dabei hat er sich ein beachtliches Extra gegönnt: Das oberste Stockwerk ließ er zu einem Studierzimmer umbauen, wahrscheinlich einschließlich eines eigenen kleinen Observatoriums für den "Sternenfreund", wie er sich selbst nennt.

Am Geld mangelt es nicht, denn inzwischen zahlt sich sein Ruf als Pestheiler aus, dazu kommt das Vermögen seiner Frau. Genug jedenfalls, um zum Beispiel eine große Summe in ein Kanalprojekt zu stecken, das er während seiner Zeit als medizinischer Beauftragter der Stadt selbst angeregt hat. Es soll Salon mit frischem Wasser versorgen und so die Gefahr von Seuchen verringern. Noch heute durchzieht das Crau, wie die Gegend um Salon heißt, ein Kanalsystem, das auf Nostradamus zurückgeht. Und auf dieses Erbe dürfte er allemal stolz sein.

Mit der neuen Studierstube

aber war zumindest symbolisch schon das Fundament für seine letzte und zweifellos bedeutendste Karriere gelegt. Zunächst ordnet er den neuen Haushalt, liest alles, was liegen geblieben oder inzwischen erschienen ist, und arbeitet an eigenen Werken. Das Schreiben lohnt sich jetzt, denn dank der neuen Verlage und der zumindest in höheren Kreisen wachsenden Lesekunst lässt sich mit Gedrucktem Geld machen. So vielseitig seine Interessen sind, so breit ist auch seine Themenpalette: Bemerkungen über die ägyptischen Hieroglyphen, Ratgeber zur Gesichtspflege, medizinische Rezeptbücher. Und was einem selbst nicht einfällt, lässt sich woanders abschreiben.

So verhält es sich auch mit einem Werk, das großen Eindruck auf ihn macht: "Das Buch über die Natur der Zeiten und ihren Wandel" von Richard Roussat. Insgesamt 7000 Jahre werden der Welt darin gegeben und ihr Ende um 1789 vorausgesagt. Die Kalkulationen sind schlampig, aber imposant. Kepler und Galilei sind da noch nicht einmal geboren, und der Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit ist noch nicht beendet. Zwar wird schon gemessen damals und gerechnet, aber es scheint kaum einen zu stören, wenn das Ergebnis letztlich nach der Methode Pi mal Daumen zustande kommt. Der Eindruck ist, was zählt, wohliger Grusel vielleicht auch und vor allem die Hoffnung auf eine lenkende Hand im Himmel.

Nur ganz wenige - Nostradamus zählt nicht zu ihnen - haben sich geistig schon so weit emanzipiert wie sein Zeitgenosse und dann auch Gegner, der Benediktinerpriester, Mediziner und spätere Satiriker Francois Rabelais, der zum Entsetzen seiner Oberen für die herrschende Kultur nur beißenden Spott übrig hat und bei seinem Tod 1553 durch einen Pagen ausrichten lässt, er suche nun "ein großes Vielleicht" auf.

Auch wenn offen bleiben muss

, was Michel de Nostredame wirklich geglaubt hat von dem, was er dann verkündete, diesen Grad geistiger Freiheit hat er sicher nie erreicht. Erst in den letzten anderthalb Jahrzehnten seines Lebens entsteht nach und nach das Werk, das ihm schließlich Weltruhm einträgt. 1550 veröffentlicht er seinen ersten Almanach und folgt damit einer Mode, die bis heute en vogue ist: Der Lauf der Gestirne soll verraten, was auf Erden droht. 1470 waren die ersten derartigen Werke erschienen.

Von da an wurden die mit Voraussagen gespickten Jahreskalender dutzendweise in ganz Europa herausgebracht. Mit größtem Erfolg: Auch wenn die Zeitläufte nur Schlimmes brachten, so schien es offenbar immer noch beruhigender zu sein, der Katastrophe wissend oder wenigstens ahnend entgegen zu sehen, als blind in sie hineinzulaufen. In all den Wirren dieser Jahre, in denen auch der traditionelle Glaube schwer ins Wanken geriet, bot wenigstens noch die Astrologie das Gefühl einer Ordnung im Chaos.

Und das noch lange mit dem Segen der Kirche.

Leo X. richtete sogar einen Lehrstuhl für Astrologie ein. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts macht Rom Front. Aber auch nicht so richtig: Zwar wird die "falsche und unhaltbare Sternenwissenschaft" in einer päpstlichen Bulle verdammt, allerdings "ausgenommen im Dienst der Landwirtschaft, der Nautik und der Medizin".

Michel Nostradamus - er hat seinen Namen zum Erscheinen des ersten Almanachs latinisiert, was seine Seriösität unterstreichen soll - muss jedenfalls noch keine kirchliche Verfolgung befürchten, nur weil er aus den Sternen liest. Und genau genommen tut er nicht einmal das. Er scheint kein begnadeter Handwerker seiner Zunft gewesen zu sein. Jeden falls werden ihm seine Voraussagen von Astrologen wie dem damals gerühmten Laurent Videl um die Ohren gehauen. Zudem, so Videl, könne die Astrologie doch nur Tendenzen, nicht aber konkrete Ereignisse vorhersagen: "Ich denke", schreibt er in einer langen Anklage gegen Nostradamus, "es geht Euch nur darum, all die Übel vorherzusagen, die Euch ohne jede andere Quelle in den Kopf kommen - denn für jedes Jahr sagt Ihr Pest, Hunger und Krieg voraus. Seht Ihr nicht, wie oft Ihr damit falsch gelegen habt?"

Sicher ist es nicht nur fachliche Kritik

, sondern auch eine gehörige Portion Neid, die seine Gegner motiviert. Doch alle lautstarke Opposition kann nicht verhindern, dass er immer erfolgreicher wird. Bald tauchen erste Fälschungen unter seinem Namen auf, weil sich ein Almanach sehr viel besser verkauft, wenn der Autor Nostradamus heißt. Den Respekt des Publikums erwidert er mit Verachtung: "Hier, wo ich wohne", schreibt er 1557, "lebe ich unter brutalen Tieren und barbarischem Volk, den Todfeinden allen guten Lernens und hoher Gelehrsamkeit." Und dennoch spricht er die Sprache des Volkes und versteht zu verführen. Ohne große Skrupel. Er scheut sich auch nicht, für ein und dasselbe Jahr zwei, manchmal drei Almanache mit unterschiedlichen Vorhersagen zu veröffentlichen. Er schreibt bei sich selbst ab, bedient sich aber auch antiker Quellen, die sich seit dem Fall Konstantinopels etwa 100 Jahre zuvor und dank der damals vor den Osmanen fliehenden "oströmischen" Christen auch im Westen wieder neuer Beliebtheit erfreuten. Gern zitiert er auch Zeitgenossen - ohne die Quellen offen zu legen.

Als Nostradamus merkt, welche Probleme ihm die "reine" Astrologie mit ihrer Pedanterie bereitet, baut er eine geschickte Verteidigungslinie auf. Zum einen wird die Sprache seiner Werke immer nebulöser. Er lässt ganze Wörter weg, verdreht bei anderen die Buchstaben, baut seltsame grammatische Konstruktionen. Vor allem aber zieht er sich auf eine damals nahezu unangreifbare Position zurück: "Dieu est sur tous les astres" - Gott ist über allen Sternen! Unverschämt und genial. Denn was können ihm künftig die Astrologen noch anhängen, wenn es doch der Geist Gottes ist, der aus ihm spricht?

Er kommt damit durch, sogar bei Hofe.

Katharina von Medici, Gattin Heinrich II. und später Regentin Frankreichs, hält große Stücke auf Nostradamus. Hat er doch angeblich den Tod des Königs beim Turnier im Sommer 1559 vorhergesagt. Jedenfalls glaubt das die Witwe, und Nostradamus bekräftigt die Mär mit einem leicht korrigierten Zitat aus den Prophezeiungen, an denen er inzwischen arbeitet. Tatsächlich hatte er im Almanach für 1559 geschrieben: "Frankreich wird sehr wachsen, triumphieren, vergrößert werden und mehr noch sein Monarch." In Wahrheit durchbohrt eine Lanze versehentlich das königliche Auge und bringt den Herrscher zu Tode.

Ein spätes und damals selbst von seinen Kritikern kaum wahrgenommenes Werk begründet schließlich seinen geschichtlichen Ruhm: die Prophezeiungen, deren erster Teil 1555 erscheint. Fast 1000 Vers-Päckchen werden es schließlich. Und nun wird nicht mehr nur ein einziges Jahr mit Vorhersagen abgedeckt wie bei den Almanachen. Denn kommt nicht alles wieder? Laufen die Geschicke der Menschen nicht im Kreis? Davon waren schon antike Denker überzeugt. Von ihnen übernimmt Nostradamus sein Geschichtsverständnis: So wie die Planeten, Sonne, Mond und Sterne ihre Bahnen ziehen in den acht Himmeln - die Astronomie als exakte Wissenschaft ist noch im Werden - und immer wieder in die gleichen Konstellationen zurückkehren, so wiederholt sich das Schicksal der Menschen. Auch andere Almanachschreiber hatten sich diese Weltsicht schon zu Eigen gemacht und ewige Kalenderwerke herausgebracht. Mit etwas Geschick konnte es nicht schwer sein, es ihnen gleich zu tun. Herauszufinden, wann die Planeten wo gestanden haben auf der Himmelssphäre, war kein großes Problem. Das mathematische Rüstzeug der Zeit reichte für solche Kalkulationen. Besser noch: Andere hatten sich zuvor schon die Mühe gemacht und die Bahnen von Merkur, Venus, Mars, Jupiter oder Saturn bestimmt. In wuchtigen Tabellenwerken war alles nachzulesen. Zeile für Zeile, Planet für Planet, Jahr für Jahr. Und wenn der Finger mal verrutschte im schummerigen Licht der Kerzen, machte das auch nicht viel. Wer sollte es schon merken?

Es ist ein Dreiklang

, der die Visionen der Zukunft hervorbringt, wie Nostradamus im Vorwort der Prophezeiungen schreibt: göttliche Offenbarungen durch halb magische Praktiken - von Schwefelgeruch zum Beispiel ist die Rede und einer kleinen Flamme - sind das Erste. Dazu bedürfe es, zweitens, einer besonderen prophetischen Begabung - wo kämen wir hin, wenn Krethi und Plethi glaubten, den Geist Gottes deuten zu können? Die letzte Komponente schließlich bildeten die ewigen schicksalsprägenden Zyklen der Planeten. Aber das Heilige will er nicht den Hunden geben und die Perlen nicht vor die Säue werfen, schreibt er, "was auch der Grund war, die Sprache dem Gemeinverständlichen und die Feder dem Papier wieder zu entziehen".

Am Ende hat er alles notiert, was er notieren will für die gesamte vermeintlich verbleibende Zeit bis zum Ende der Welt - 3797 soll das kommen, sagt der Seher von Salon voraus. Oder vielleicht doch schon 1999 im Sommer? Darauf jedenfalls hatten sich zahlreiche gegenwärtige Jünger bereits eingerichtet. "Jahr 1999, siebenter Monat. Vom Himmel kommt ein großer Schreckenskönig. Wiedererweckt, der große König von Angoulmois. Vor, nach Mars, Regieren zu guter Zeit." Zehnte Centurie, Quatrain 72. Ausnahmsweise eine ganz konkrete Zahl: 1999. Groß war das Geschrei kurz vor der Jahrtausendwende. Und hin und her gedeutelt wurde, wer der "große Schreckenskönig" sein könnte, der vom Himmel kommen sollte. Was dann kam - auch ohne Nostradamus berechenbar -, war die totale Sonnenfinsternis vom 11. August. Das war's. Oder nicht?

Nostradamus ist ein von der Gicht geplagter alter Mann

, als er den Almanach für 1567, seinen letzten, schreibt. Arthritis kommt dazu, Ödeme plagen ihn. Das Atmen wird zur kaum noch erträglichen Qual. Ende Juni notiert er auf dem Rand einer Sternentabelle: Hic prope mors est - hier ist der Tod nahe. Am Abend des 1. Juli dann folgt gegenüber sei nem Sekretär eine Prophezeiung, die sich bewahrheiten soll: "Bei Sonnenaufgang wirst du mich nicht mehr lebend antreffen." Morgens liegt seine Leiche neben dem Bett.

Die erste Gesamtausgabe des gewaltigen Prophezeiungswerkes im gewohnt quälenden Almanach-Stil kommt erst 1568, zwei Jahre nach seinem Tod, heraus. Später tauchen neue Vorhersagen auf, dazu Sechs-, nicht die gewohnten Vierzeiler, Entwürfe vermutlich, die sich unvollendet irgendwo im Studierzimmer von Salon fanden. Gepflegt wird der komplette Nachlass damals von seinem Sohn Cèsar und seinem ergebenen letzten Sekretär Jean Aymes de Chavigny. Letzterer verfasst dann auch die "offizielle" Biografie des Meisters und fügt der schon zu Lebzeiten keimenden Legende bei, was noch fehlt. Die Saat ist gelegt.

Und mit noch einer Prophezeiung

hat Nostradamus Recht behalten: "Gegen jene, die mir so oft den Tod gewünscht haben", schreibt er 1557 trotzig im Vorwort von gleich drei Almanachen: "Wenn ich tot bin, wird mein Name weltweit leben."

Frank Ochmann, Stern



 
       
               
               
     

       
               
               
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