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Nachtfahrt  (Auszug)

       
     
       
     

Nachtfahrt

       
     
       
      "Nachtfahrt"

Da wir unseren neuen Schlüsselroman entgegen der Planung noch nicht anbieten können – insbesondere im dritten Viertel der Geschichte können sich noch Hinzufügungen von einiger Bedeutung ergeben – hier ein Auszug aus der Geschichte, der mehr Stimmung und Unterhaltungswert vermittelt als Hintergründe, aber vielleicht doch manchen unter Ihnen Freude bereiten wird.

Dieser Auszug ist aus dem ersten Drittel des Romans, er legt für die weitere Geschichte eine wichtige Spur.

Romanauszug

 

Brief von Alberto Daconti, Mailand,

an Hauptkommissar Horst Kamarek, Hamburg

Lieber Herr Kamarek,

seit einer Weile geht mir etwas durch den Kopf, und ich glaube allmählich, ich sollte dies Ihnen mitteilen, obschon es aller logischen Wahrscheinlichkeit nach mit unseren gemeinsamen Themen nicht das mindeste zu tun hat. Es gibt aber doch wenigstens einen Punkt daran, der – so kurios es anfänglich erscheinen mag – einen Zusammenhang bedeuten könnte. Diesen speziellen Punkt möchte ich aber erst zum Schluß der Schilderung ausführen, die Sie nun zu lesen bekommen.

Mein kleiner Erlebnisbericht beginnt anders als Sie annehmen werden, nämlich Jahre vor meiner Begegnung mit Hanna Schütz; und genau darin liegt ggf. das besonders Bemerkenswerte. Möglicherweise hat die ganze Angelegenheit schon viel früher begonnen, wenigstens aber ein Vorspiel gehabt, bloß daß mir das bis jetzt nicht in den Sinn kam und wohl auch gar nicht in den Sinn kommen konnte. Sie werden bald sehen, warum.

Was ich Ihnen im folgenden schildere, ereignete sich in den Jahren als ich häufig zwischen München und Wien hin und her fuhr. Mein `71er Caddy war damals noch verhältnismäßig neu, also muß es vor rund 25 Jahren gewesen sein, genau weiß ich es nicht mehr. Es war übrigens derselbe Wagen, in dem ich Hanna Schütz mitnahm und von dem Sie im Opern-Café behauptete, ihn schon von früher zu kennen (Sie erinnern sich?).

Nun, ich kann also nicht genau sagen, von welchem Jahr ich jetzt spreche. Es muß zwischen 1973 und 1975 gewesen sein. An das Ereignis selbst erinnere ich mich aber sehr gut, oder genauer gesagt: es ist mir jetzt wieder so gegenwärtig geworden als sei es gestern gewesen.

In dem Jahr herrschte ein anhaltend frostiger und schneereicher Winter. Die Westautobahn, die von Wien aus über Salzburg nach München führt, wollte mit Vorsicht befahren sein. Salz und Splitt waren gestreut. Dieses Gemisch machte die Fahrbahnen aber nicht frei, sondern ergab Matsch. Damals war der Verkehr aber gering, verglichen mit heutzutage, besonders des Nachts. Oft konnte man über viele Kilometer den Eindruck haben, als gäbe es überhaupt keine anderen Autos als das eine, das man selber fuhr. In den Stunden des Abends und der Nacht erschien die Autobahn mitunter so einsam wie ein Betonstreifen am Ende der Welt. Das beinahe geräuschlose Dahingleiten des Cadillacs mit seiner weichen Lenkung, die keine Verbindung zu Strecke und Straße vermittelte, verstärkte den Eindruck des sanften Schwebens über eine Erde, die anscheinend außer mir niemand mehr brauchte. So kam ich mir in jener Stunde vor, als sei ich der letzte menschliche Bewohner einer längst verlassenen Welt. Die vielleicht noch verbliebenen Wesen – Lemuren, Dämonen, Gespenster (wie Hanna Schütz gesagt haben könnte) – bewegten sich in anderen Sphären, die nahe sein mochten, aber für den Menschen unsichtbar blieben. Nur das Rauschen der Reifen ließ sich vernehmen, manchmal auch ein leises Knirschen, wenn es durch eine vom Frost überkrustete Schneewehe ging, dazu das kaum merkliche rhythmische Holpern an den in gleichmäßigen Abständen immer wiederkehrenden Nahtstellen zwischen den zusammengefügten Betonstreifen, wie die ersten Autobahnen gebaut worden waren.

So ging die stille Fahrt dahin. Der Mond stand am Himmel, hin und wieder teilweise von streifenden Wolken verdeckt. Es ging auf Mitternacht zu, wirkte aber nicht vollständig dunkel, weil der Schnee den Mondschein reflektierte. So fuhr ich also durch die Stille, weit und breit kein anderes Fahrzeug. Nur zweimal erschienen Scheinwerferpaare auf der Gegenfahrbahn, wurden schnell größer und verschwanden bald wieder. Der Rückspiegel zeigte noch für eine Weile das rote Glimmen des anderen Autos, ehe sie sich in Nichts aufzulösen schienen.

Ich erinnere mich noch, es war kurz nach der Autobahnausfahrt Melk, als ein anderer Wagen von hinten herankam, mit hoher Geschwindigkeit, denn die Scheinwerfer im Rückspiegel kamen erstaunlich schnell näher und näher. Geschwindigkeitsbegrenzungen gab es damals auf den österreichischen Autobahnen noch nicht. Bald schoß eine dunkle Limousine an mir vorbei und spritzte mir die Windschutzscheibe voll Schnee und Matsch. Ich erkannte in dem vorbeirasenden Wagen einen Mercedes 300, der wohl noch aus den 1950er Jahren stammte und wunderte mich über das enorme Tempo, das dieses alte Auto hergab. Es sauste so schnell vorüber, daß nicht erkennbar war, ob bloß der Fahrer darinsaß oder noch weitere Menschen. Dann waren die Rückleuchten auch schon weit voraus im Dunkel verloschen.

Ich hatte die Scheibenwischer angestellt, um wieder freie Sicht zu bekommen. Die schafften sie auch, verursachten aber bald ein unangenehmes, über Glas schleifendes Geräusch, da die Scheibe mittlerweile fast trocken war. Ich hätte die Scheibenwischer ausschalten sollen, vergaß es aber vorerst ganz einfach; ich war in Gedanken, ohne mich noch zu erinnern, an was ich dachte, vielleicht an gar nichts Konkretes. Es war ein Fahren im tonischen Zustand, so könnte man sagen.

Das schleifende Geräusch war inzwischen zu einem widerlichen Kreischen geworden, beinahe so wie ein hoher, menschlicher Schrei. Das wirkte nervzerreißend. Endlich schaltete ich mechanisch die Scheibenwischer aus: ein Fingerduck auf den kleinen Hebel am Armaturenbrett links neben dem Lenkrad, an den ich mich nicht erinnere. Da die Scheibenwischer aber bald ruhten, muß ich den Schalter betätigt haben. Trotzdem bildete ich mir ein, das kreischende Geräusch noch immer zu hören, und dann glaubte ich, wirklich jemanden schreien zu hören. Das war nicht der Fall, ich bemerkte es nun, fuhr aber trotzdem langsamer. Das ging vielleicht 40 oder 50 Kilometer so, ungefähr. Die Strecke lag vollkommen einsam, weit und breit kein anderes Auto. Doch dann sah ich rechts, schräg neben der Strecke, den alten Mercedes 300 liegen. Die Lichter brannten noch. Der gar so eilige Wagen war offensichtlich verunglückt. Ich hielt an, um zu schauen, was zu tun sei. Von den Insassen war nichts zu sehen. So schnell konnte aber noch keine Hilfe dagewesen sein. Damals gab es auch noch keine Auto- oder Mobiltelefone. Ich stellte meinen Wagen dicht hinter dem verunglückten Mercedes auf dem Randstreifen ab, so daß das Licht der Scheinwerfer auf den Havaristen gerichtet war. Der schwere Mercedes sah gar nicht beschädigt aus, er stand nur schräg, die vordere Hälfte auf einem an die Autobahn angrenzenden Acker. Schwerverletzte konnte es da nach meinem Ermessen nicht gegeben haben. Ich ging dicht heran und sah, daß sich in dem verunglückten Wagen niemand befand. Gerade zogen wieder einige Wolken am Himmel auf, doch meistens war der Mond frei und schien auf das Land, jedenfalls ausreichend, um sehen zu können, daß nicht etwa ein Mensch da oder dort lag. Fußspuren aber entdeckte ich keine, dazu war es wohl auch nicht hell genug. Auf mein Rufen hin erfolgte denn auch keine Antwort. Was sollte ich tun? Ich suchte in dem fremden Wagen, wo man da auf Standlicht schalten konnte, damit die Batterie nicht leer wurde, kriegte das auch hin und fuhr weiter.

Nach höchstens anderthalb Kilometern entdeckte ich eine hellgekleidete, schlanke Gestalt auf dem Randstreifen, beinahe wie eine verwunschene Fee, die sich in diese Winternacht verirrt hatte. Sie stand vollkommen regungslos. Dieses Wesen mußte wohl zu dem verunglückten Mercedes gehören. Näherkommend sah ich, daß es eine junge Frau war, eine junge Dame in einem weißen Pelzmantel, dessen Kapuze sie über den Kopf gezogen hatte. Sie winkte nicht einmal, damit ich anhalten sollte, sondern ging sicherlich davon aus, ich würde das sowieso tun. Selbstverständlich hielt ich auch an und stieg aus. Die Dame blieb immer noch ganz still stehen, blickte mir aber entgegen, völlig ruhig. Nur die Kapuze schob sie zurück, so daß ich ihr Gesicht sehen konnte. Es war ein blasses, schönes Gesicht mit großen dunklen Augen, die mich ruhig anblickten. Die Frau war mittelgroß und sehr schlank und zart, was der Gürtel um den Pelzmantel noch betonte. Sie war hoch elegant. Über dem weißen Handschuh trug sie am linken Ringfinger einen Siegelring. Das fiel mir auf. Ihre dunklen Haare waren kurzgeschnitten und glatt. Die Form der Frisur wäre mir vermutlich nicht näher aufgefallen, wenn der Widerschein des Mondes sich nicht so stark auf den glänzenden kurzen Haaren gespiegelt hätte und es bei einem Windstoß, der ihre Haare für einen Moment bewegte, so aussah, als sprühten kleine Funken aus ihnen heraus. An diese Merkwürdigkeit erinnere ich mich sehr gut. Wahrscheinlich sind es nur ein paar davonwehende Schneeflocken gewesen, auf denen der Mondschein reflektierte. Es kam mir aber doch sonderbar vor.

Wie dem auch sei: Ich habe vielleicht nie eine schönere Frau gesehen als diese, und gewiß nie wieder ein so schönes Gesicht wie das dieser Dame. Der Augenblick hätte geradezu etwas Romantisches haben können, wäre die Situation eine andere gewesen. Die junge Dame zeigte keinerlei Nervosität. Sie sagte: „Guten Abend" und fragte mich, ob ich in der Lage sei, ihr Auto wieder in Gang und auf die Fahrbahn zu bringen. Sehr souverän. Daß ich den Wagen bemerkt haben mußte, setzte sie zurecht voraus. Ich bot ihr an, in meinen Wagen zu steigen. Dann würde ich auf dem Randstreifen das kleine Stück rückwärts fahren und mich bemühen, ihr Auto wieder flott zu bekommen. Sie lehnte das höflich ab, sie wollte an Ort und Stelle warten. Also unternahm ich es, im Rückwärtsgang zu ihrem Wagen zu rollen und mir diesen vorzunehmen. Das Manöver erwies sich als völlig problemlos, ich wunderte mich, daß die junge Dame das nicht selber fertiggebracht hatte. Ich wunderte mich auch darüber, daß sie solch eine Lokomotive fuhr, die zu einer Frau nicht recht paßte. Sie hätte sich bestimmt leicht einen Sportwagen leisten können, ein „SL" hätte besser zu ihr gepaßt als der schwere alte Mercedes 300, dessen Lenkung nicht gerade leichtgängig war. Vielleicht, so dachte ich mir, war der Wagen ein mit Sentimentalität behaftetes Erbstück. Stil hatte die alte Karosse auf jeden Fall und fuhr sich auch durchaus angenehm. Die hellen Lederpolster waren bequemer als die meines Cadillacs. So lenkte ich den Mercedes also an die Stelle, an der die junge Dame still wartete. Weil ich schon gemerkt hatte, diese Frau würde kein Gespräch wünschen und mir wahrscheinlich auch nicht ihre Anschrift oder Telefonnummer überlassen, ich sie aber gern näher kennengelernt hätte, placierte ich eine meiner Visitenkarten auf den Beifahrersitz ihres Wagens, eine von denen mit Büro- und Privatadresse – ein unbeholfener und erfolgloser Wink mit dem berühmten Zaunpfahl; die wundersame, schöne Frau hat sich niemals bei mir gemeldet.

Als ich mit der dunkelblauen Lokomotive Baujahr ca. 1955 an die Stelle zurückkam, an der die Dame wartete, dankte sie mir freundlich, stieg ein und brauste gleich davon – sofort wieder mit Vollgas, das schien bei ihr das Übliche zu sein.

So marschierte ich zu meinem Caddy zurück und fragte mich, ob ich sie womöglich im nächsten Straßengraben wiedersehen würde, bei ihrer Art autozufahren. So ergab es sich aber nicht, ich sah sie nie wieder. Die Autonummer hatte ich mir nicht gemerkt, erinnerte mich nur, daß es eine vierstellige mit N für Niederösterreich war (zu der Zeit gab es in Österreich noch die alten Autokennzeichen mit Weiß auf Schwarz).

So weit also dieses mindestens ein Vierteljahrhundert zurückliegendes Erlebnis.

Was hat das mit den akuten Dingen zu tun? Wahrscheinlich überhaupt nichts, nur: Die junge Dame, deren Gesicht mir noch heute gegenwärtig ist, erinnert mich ganz ungemein an das Foto von Nora Behling, ja, dies sogar so stark, daß die Dame mit dem alten Mercedes eine nahe Verwandte von ihr gewesen sein könnte! Bedenken Sie: Es gibt einen Zweig der Familie in Österreich. Auch wenn dieser heutzutage nur noch aus einer einzigen Person besteht, wie Ihre Ermittlung ergab, so kann das ja damals noch anders gewesen sein, und es bestanden womöglich Verbindungen zur Behling’schen Familie in Bayern…?

Und wenn ich noch weiter ausholen darf: Sie erinnern sich, Nora Behling schrieb in ihrem ersten Brief an mich, Hanna Schütz überlasse nichts dem Zufall, möglicherweise bestünde bereits irgendeine Verbindung – direkt oder mittelbar. Sie hat dies nicht näher ausgeführt, aber bestimmt ernst gemeint.

Vielleicht – eine ganz vage Idee – gelangte Hanna Schütz vor Jahren in den Besitz der Visitenkarte, die ich damals in dem Mercedes zurückgelassen habe? Das klingt sehr unwahrscheinlich, so recht kann ich mir das nicht vorstellen, doch möchte ich es nicht unerwähnt lassen. Bedenken Sie auch die sonderbar wirkende Bemerkung von Hanna Schütz damals im Opern-Café, sie habe meinen Wagen schon gekannt, sagte sie, wenn auch nicht aus direkter Anschauung… Im Grunde kann ich mir das kaum vorstellen, aber wer weiß, was es alles geben mag.

Möglich, ich habe mich soeben in die Formation der Spinner und Wahnvorstellungen zugetanen Leute eingereiht? Hoffentlich sehen Sie meine Schilderung nicht in solchem Licht!

 

Viele Grüße

Ihr Alberto Daconti Mailand, den 17. April 200X

 

Autos - Nachtfahrt

 

       
               
               
     

       
               
               
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