Der Amethyst
Ein Amethyst - für Magisches bestimmt -
wie lange lag er ganz verkannt,
ward sein Geheimnis niemandem bekannt,
der es begreift und in die Hände nimmt.
Weise Lenkung kam aus andrer Sphäre;
denn nichts verstand in dieser Welt,
was manche Schwingungskraft hier zählt,
als ob sie nicht bloß von vielen eine wäre.
Zum Schmuck wurde der Amethyst verwendet,
von der einen und von der andren Frau,
doch keine von diesen sah genau,
was dieser Stein aus seinem Inneren sendet.
Endlich - nach vielen hundert Jahren –
erhielt ihn eine junge Königin.
Und sie erfühlte von des Steines Sinn,
als an Bänder sie ihn gab zu ihren Haaren.
Da spürte sie, wie sie plötzlich durcheilte
eine sonderbare, helle wirkende Kraft,
die starken Willen in ihr schafft,
welche stets so lange in ihr weilte,
wie der Amethyst verbunden war mit ihrem Haar.
Sobald die ihn herausgenommen,
was alle Tage nötig war,
damit sie kämmen konnt ihr Haar,
waren die Kräfte wie zerronnen.
Auch konnte sie den Schmuck nicht ständig tragen.
Doch das Vermögen, geistig viel zu überragen,
auch in anderer Gedanken wohl zu sehen,
dies aufzugeben, mocht sie nicht wagen;
denn nie hatte so weise sie regieren können,
wie mit dem Amethysten in den Haaren.
Seitdem, in allen Jahren, ihre Befehle waren
klug und richtig, wie jeder mußte anerkennen.
Von der geheimen Kraft des Amethysten,
von welcher sie so oft geleitet,
die ihr Denken und ihr Handeln vorbereitet,
gab’s niemanden, der davon wüßte;
und keiner hat es je durchschaut:
was die Königin auch tat,
und von ihr jeder kluge Rat,
war auf die Magie des Amethysten gebaut.
Über Jahre hatte jeder Wunsch sich ihr erfüllt.
Das Haar der Königin war jetzt so lang,
daß es zu zeigen wurde ihr bang,
weshalb sie es meistens verhüllte.
So vergingen weitere sechs Jahre.
Außer bei Tage und eine Stunde und zur Nacht,
der Amethyst hat stets ihr große Kräfte gebracht,
da sie meist ihn trug in ihrem Haare.
Dieses hatt’ längst ein Ausmaß erreicht,
daß es den Boden bald berührte,
mehr war, als es die Frau nur zierte,
dem Haar eines Zauberwesens gleicht.
Die Königin wollte trotzdem vermeiden,
ihr viel zu langes und wildes Haar,
das kaum noch zu bändigen war,
wenigstens um ein Stückchen zu schneiden.
Denn falls sie dazu sich entschlösse,
könnte es wohl sehr schnell sein,
daß die Kraft aus dem Wunderstein
im selben Augenblick zerflösse;
und ohne diese Zauberkraft,
von der sie glaubte,
daß allein diese ihr zu tun erlaubte,
was alles sie hatte geschafft,
wär’ ihre Macht wohl bald dahingerafft.
Von da an flocht sie es am Hinterkopf,
und steckte dort oben hinein
den zauberkräftigen Stein
in ihren langen, starken Zopf.
So war ihr Anblick auch sehr schön.
ohne daß nötig wäre,
ihr Haar zu zähmen mit der Schere.
Edel war sie anzusehen,
und alle Menschen wunderten sich,
wie prächtig ihre Königin war
mit dem Edelstein im geflochtenen Haar,
womit sie beinahe einer Göttin glich.
Eines Tags in jenem Jahr
kam aus Alexandria vorüber
ein Magus, welcher sich kurz ließ nieder
weil er sah, daß die Königin hier etwas Besonderes
war.
Und er bat, sie möge ihn einmal empfangen,
er habe ihr manches zu sagen,
würde beantworten auch alle Fragen,
wodurch sie könnt zu mehr Erkenntnis gelangen.
Nach drei Tagen ließ die Königin den Magus rufen.
Dieser nahte sich ihr mit Respekt
und erklärte, er habe an ihr etwas entdeckt,
was höhere Mächte einstmals schufen.
Die Königin durchschaute den Besucher sofort.
Auch ward ihr inzwischen Kunde gebracht,
was der Unbekannte in vergangenen Jahren gemacht,
daß er schon Zauber tat an manch anderem Ort.
Und der Magus sprach: Holde Königin,
gleich als ich dich sah habe ich an dir erkannt,
was bei unsereins* die
Große Kraft wird genannt.
Und da ich von uns beiden der weitaus Ältere bin,
magst du mir ein paar offene Worte erlauben,
allzumal ich dir damit dienen möchte,
dir enthüllen, was hier sonst keiner dir brächte
an Erkenntnisschatz, den dir niemand kann rauben.
So sprich, befahl ihm die Königin.
Ist es weise, erhältst du guten Lohn.
Ist es töricht, empfängst du Prügel und Hohn.
Ich weiß zu durchschauen, was Wert hat und Sinn.
Der Magus machte es sich ihr zu Füßen bequem.
Er bat, ihn nicht zu unterbrechen,
und begann dann mit ruhiger Stimme zu sprechen:
Was ich dir sage, o Königin, ist dir gewiß angenehm.
Ich weiß wohl, du hast besondere Fähigkeiten.
Das erkenne ich an dem funkelnden Stein,
den du in deines Haares Flechtwerk fügst ein.
So bist du weise, das würde ich nie bestreiten.
In einem aber – ich merk es dir an –
bist du ungewiß ob des Steines Natur:
du wähnst, dieser allein sei es nur,
der die besonderen Kräfte Dir zieht heran.
In Wahrheit bist du es, die ihm eingibt die Kraft.
Von sich allein ist er leer, ist nur bereit,
aufzunehmen was ihm gesandt wird zur rechten Zeit.
So bist du selbst es, die alles hat geschafft.
Der besondere Stein ist zunächst einfach bloß da,
bedeutungslos ohne den menschlichen Willen,
er könnte aus sich selbst kein Verlangen stillen,
dazu braucht er den rechten Geist und das Frauenhaar.
Daß du dies empfandest, o Königin,
hast den Stein richtig verwendet,
deinen Willen durch dein Haar in ihn gesendet,
das belebte des Steins Zweck und Sinn.
Was du in ihn gabst, gibt er dir stärker zurück.
So wird er immer es tun, so lang du ihn trägst
und mit keinem Gedanken erwägst,
dich zu trennen von diesem Stück.
Darauf sprach die Königin mit Bedacht:
Was du sagst, das klingt klug.
Doch ist’s mir noch nicht genug.
Gib mir Rat zu dem, woran ich oft hab gedacht:
Welche Bedingungen stellt der magische Stein?
Seit ich ihn fand, hab ich mein Haar nicht geschnitten,
habe unter der Schwere der Länge oftmals gelitten.
Muß das so sein?
Der Magus gab zur Antwort: So war es gut,
denn der Stein braucht seine Geborgenheit,
besonders in der ersten Zeit.
Jetzt liegt es allein an deinem Mut,
der Stein bedarf der Länge in Menge nicht mehr,
auf das große Maß würde er leicht verzichten,
er wird sich ganz nach deinem Geiste ausrichten.
Du beherrscht ihn, das bedenke stets sehr.
Sind deine langen Haare dir eine Last,
so schneide sie ab bis zum Kinn.
Diese Form hätte den besten Sinn.
Nun sage, wie du dich entschieden hast.
Die Königin sprach: es wäre sicherlich angenehm,
die langen Haare abzuschneiden,
doch ich mag mich für das kurze Maß nicht entscheiden,
obwohl ich mir denke, es wäre auch schön.
Der Stein aber soll nicht in Unruhe kommen.
Er ist gewöhnt, seit vielen Jahren,
an seinen Platz in meinen langen Haaren.
Drum wird der Rat von dir nicht angenommen.
Mag wohl sein, du bist klüger und weiser als ich,
kennst vielleicht viel von der geistigen Welt,
was ebenso sehr in dieser hier zählt -
doch allein was ich von mir selber weiß, gilt für
mich.
Die Königin entließ den Magus reichlich beschenkt,
und dieser zog weiter, niemand wußte wohin.
Der Königin blieb mancher Satz von ihm im Sinn,
besonders, daß erst sie selber es war,
die des Steines Kraft weckte in ihrem Haar.
Beides gemeinsam führte zum Guten hin.
Das ist woran sie noch oft denkt;
und so hat die das Geschick ihrer Stadt weitergelenkt.