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Was Rüstungspolitik offenlegt

       
     
       
     

Was Rüstungspolitik offenlegt

       
     
       
     

Was Rüstungspolitik offenlegt

Die Illusion, nach dem Unheil zweier Weltkriege würden alle Menschen auf diesem Planeten begriffen haben, daß Krieg immer die schlechteste aller Möglichkeiten ist, war eine der am schnellsten zerplatzte Seifenblase der Geschichte. Zu einem gewissen Teil liegt das natürlich daran, daß es eine einheitliche „Menschheit" nicht gibt, sondern verschiedene Völkerschaften mit ganz unterschiedlichen historischen Entwicklungen und Erfahrungen sowie verschiedener Wesensart. Damit könnte man die Kriege etwa in Afrika zu erklären versuchen, nicht aber die Kriege jeder Völkerschaften, die es besser wissen müßten. Gerade diese aber haben Krieg absurder Weise wieder zu einem probaten Mittel erhoben. Die USA und andere NATO-Staaten spielen dabei eine äußerst unrühmliche Rolle. Von Selbstverteidigung kann da schwerlich gesprochen werden.

Das „Si vis pacem, para bellum" hatte zweifellos oft seine Berechtigung. Der Wehrlose zieht hochgerüstete Feinde auf Beutetour geradezu an. Heutzutage ist die Lage diesbezüglich nur auf den ersten Blick graduell anders als zu früheren Zeiten. Bedenken wir etwa die Rohstoffprobleme der Industrieländer – aber auch kommende Fragen der Wasser- und Lebensmittelversorgung -, so ist klar, daß der alte Ausspruch der Römer prinzipiell immer noch Gültigkeit hat, und in kommenden Jahrzehnten vermutlich noch weitaus mehr als im Augenblick. Das heißt: die Rüstungsanstrengungen der Länder dieses Planeten sind im Prinzip gerechtfertigt, und wer solche versäumt - wie zurzeit die Bundesrepubliken Deutschland und Österreich, Italien oder Japan -, könnte das noch einmal bitter zu bereuen haben. Abhängigkeit von Bündnissen heißt ja auch immer Abhängigkeit von den Interessenlagen anderer. Aus solcher Sicht kann man bloß hoffen, daß Krieg als Mittel der Interessendurchsetzung unter einigermaßen zivilisierten Völkern endgültig der Vergangenheit angehört. Doch wer könnte schon von einer Endgültigkeit in der Geschichte sprechen? Und sind unter jenen Staaten, die noch heutzutage Krieg als Mittel ihres Vorgehens betrachten, nicht durchaus auch zivilisierte? Es sind ja eben keineswegs bloß undemokratische und „unzivilisierte Wilde", die sich etwa in Afrika gegenseitig die Köpfe einschlagen. Die ausgedehntesten Kriege führen auch heutzutage, wie schon seit Beginn des Kolonialismus, westlichen Staaten. Freilich tun sie das stets mit der üblichen Behauptung, es um den „Richtigen" willen tun zu müssen. Besonders beliebt ist nach wie vor die Lüge, andere „befreien" zu müssen. In Wahrheit sind all diese Kriege geopolitisch begründet und moralisch nicht zu rechtfertigen.

Es kam in der Geschichte immer wieder vor, daß einzelne Völker zur Sicherung ihrer nackten Existenz gezwungen waren auf eine starke Rüstung zu setzen, selbst wenn dahinter nicht unbedingt expansive Absichten standen. Heutzutage ist der flächenmäßig winzige Staat Israel ein Beispiel dafür. An seiner schmalsten Stelle ist Israel (in seinen völkerrechtlichen Grenzen) nur ganze 16 Kilometer breit. Einem einigermaßen gut gerüsteten Gegner wäre es ein Leichtes, dieses Land in zwei Teile zu zerschneiden und dann schnell zu erobern. Angesichts dieser Geographie sowie der feindseligen Haltung der Nachbarn ist Israels Haltung also zu verstehen. Und es ist immer die Sichtweise des jeweiligen Landes zu betrachten, um eine Lage richtig einschätzen zu können. Was „gerecht" ist, läßt sich immer nur subjektiv sehen. Zu allen Zeiten haben Staaten durch Kriege Gebiete verloren. Deutschland, Österreich, Ungarn oder Finnland und Japan sind dafür Beispiele aus der jüngeren Geschichte. Das war Schicksal – oder wie immer man es nennen will. Arabische Staaten haben Kriege gegen Israel verloren. Sie haben dabei auch Gebiete verloren. Gemessen an der Größe Arabiens nur eine Winzigkeit, die um des Friedens willen leicht zu verschmerzen sein würde. Nicht ein paar objektiv geringfügige Gebietsverluste verhindern dort im Nahen Osten den Frieden, sondern irrationale, in den Religionen verwurzelte Motive. Logisch also, daß der Staat Israel Hochrüstung betreibt und gerade jetzt wieder den Anschein des Aggressiven erweckt, indem es Iran mit Krieg droht, obschon sogar die CIA sagt, daß die Iraner noch nicht einmal entschieden haben, ob sie die Atombombe wollen oder nicht. Die Israeli haben vor einer solchen trotzdem Angst, höchstwahrscheinlich ganz unbegründet, entgegen aller westlichen Propaganda. Die Angst ist aber da, und Angst ist stets irrational.

Iran seinerseits ist von Atommächten umringt. Warum sollten die Perser sich also auf alle Zeiten Bedrohungen ausliefern, die verhältnismäßig leicht auftreten könnten? Warum soll sich dieses alte Kulturvolk anderen unterwerfen? De facto ist die iranische Rüstung sicher nicht gegen Israel gerichtet, und auch nicht gegen die westlichen Länder. Die iranische Rüstung ist an sich relativ schwach und so unausgegoren, daß von klar erkennbaren Absichten keine Rede sein kann. Der Iran ist insofern kein Beispiel zum Thema dieses Artikels.

Die Art der Rüstung eines Staates hat zu allen Zeiten gezeigt, welche Ziele dieser verfolgt. Das war schon bei den Assyrern zu erkennen. Ihr Schwergewicht auf der Reiterei (die Assyrer erfanden den Steigbügel) verriet ein offensives, aggressives Denken, welches die Geschichte dann auch bestätigte.

„Laß’ mich anschauen, wie du deine Streitkräfte ausrüstest, und ich weiß, was du vorhast!" So könnte gesagt werden, und ein Irrtum ist beinahe ausgeschlossen. Einzuberechnen sind höchstens rüstungspolitische Irrtümer aufgrund von Fehleinschätzungen der Gegebenheiten, wie sie nicht selten vorkamen. Die Absichten eines Staates bleiben aber dennoch erkennbar. Das läßt sich selbstverständlich auch auf die Situation vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs anwenden.

Trifft es objektiv zu, daß Deutschland zwischen 1933/34 und 1939 eine Hochrüstung betrieb, um einen zweiten Weltkrieg zu führen? Trifft es ferner zu, daß die demokratischen Staaten Frankreich, Großbritannien und USA sich im selben Zeitraum auf eine defensive Rüstung beschränkten? Und wie verhielt es sich damals mit der UdSSR? Auch das Verhalten Italiens und Japans wären dazu interessant. Eine klare, nachprüfbare Analyse all dessen würde gleichsam Antworten auf die Frage geben, wer ggf. einen Großkrieg wollte und wer nicht. Menschen können lügen – und sie tun es oft. Maschinen dagegen lügen nicht. Die Aussage, welche sich eindeutig auf technische Fakten gründet, ist daher zwangsläufig wahr. Eine einfache aber wertvolle Erkenntnis.

Die heutzutage gültige Geschichtsschreibung geht davon aus, in Deutschland den Verursacher des Zweiten Weltkriegs sehen. Politisch und schließlich faktisch ist das auch bis zu einem gewissen Grade zutreffend. Aber war es auch so geplant? Oder schlitterte das Deutsche Reich bloß in den Zweiten Weltkrieg hinein, den es dann nicht siegreich beenden konnte, weil – selbst wenn die Überzahl der Gegner und deren Vorteile an Ressourcen einmal außer Acht gelassen werden – die für eine Auseinandersetzung solcher Ausmaße notwendigen rüstungspolitischen Maßnahmen nicht getroffen worden waren? Ließe sich dies nachweisen, so erschiene die Risikopolitik der NS-Führung, welche fraglos betrieben wurde, in höherem Maße verantwortungslos als ohnehin. All jene behielten Recht, die Hitler vorwarfen, er habe sich wie ein Hasardeur verhalten, habe quasi die ganze deutsche Nation wie einen Jeton beim Roulette auf Zero gesetzt – und alles verloren. Das stimmt. Aber wieso kam es dazu? Warum auf diese Weise? Wer diesen Punkt unbeachtet läßt, läuft am Erkennen der Geschichte vorbei. Deshalb werden auch wir einen Blick auf die Gegebenheiten während der Herrschaftszeit des Nationalsozialismus tun müssen, an welchem so vieles irrational war. Das Irrationale aber mit der Meßlatte der Ratio erfassen zu wollen, hieße, das Ziel zu verfehlen. Insofern ist auch die Rüstungspolitik Deutschlands in der NS-Zeit mit besonders geschärftem Blick zu betrachten.

Eine Analyse der Rüstungspolitik der maßgeblich am Zweiten Weltkrieg beteiligten Staaten zwischen 1933 und 1939, wird über vieles zuverlässig Aufschluß geben: über das, was an meßbaren Fakten erkennbar ist, was wer wollte und plante. Irrationales, was zwischen alledem schwebt, was sich nicht mit Daten nennen läßt, wird stets im Ungreifbaren bleiben. Denn alles, was von Menschen ausgeht, hat ja zwei Ebenen: Ratio und Emotion – das logisch Richtige, und das subjektiv Empfundene, mitunter auch von außen Suggeriertes.

An den Anfang dieser Betrachtung sollen also die Rüstungsanstrengungen Deutschlands gestellt werden, da dieses die meisten Vorwürfe treffen; und dabei gilt es, flankierende Aspekte nicht unbeachtet zu lassen, auch wenn diese nicht immer rationaler Natur sind. Eines sei aber vorweggenommen: Die Behauptung, Deutschland habe auf einen zweiten Weltkrieg hingearbeitet, ist schlichtweg falsch.

Die Ursachen des 1939 ausgebrochenen Kriegs wurden ohnehin schon 1919 von den Kriegsgegnern Deutschlands geschaffen. Der im Alter weise gewordene Churchill gelangte spät zu der folgenden Erkenntnis: Wenn die Amerikaner 1917 zu Hause geblieben wären, würde ein anständiger Frieden geschlossen worden sein, und man hatte sich den Bolschewismus, Hitler und den Zweiten Weltkrieg erspart.

Leider dachte 1917 niemand in den Kategorien der Vernunft, und so nahm das Schicksal seinen verhängnisvollen Verlauf.

Zur Einleitung der Betrachtungen über die deutsche Rüstung zwischen 1934 und 1939 eine Anekdote, die wahrscheinlich von einer tatsächlichen Begebenheit spricht: Bei der Rückkehr der Legion Condor aus Spanien soll Admiral Wilhelm Canaris kritisch zu Hitler gesagt haben: „Wir betreiben eine Rüstung für große Paraden und kleine Feldzüge". Dies nahm mittelbar Bezug auf die Entwicklung viermotoriger Langstreckenbomber in England und in den USA, welche die Abwehr bereits Anfang 1936 gemeldet hatte. Dazu muß man wissen, daß Canaris schon 1920/21 in einem Freundeskreis von Offizieren in einer Sylvesterzusammenkunft die Überzeugung vertrat, ein zweiter Waffengang mit den Gegnern des (ersten) Weltkriegs, initiiert durch England, werde Deutschland wahrscheinlich nicht erspart bleiben, weil die Gegner ihr eigentliches Kriegsziel, die völlige Zerschlagung des Deutschen Reichs, noch nicht erreicht hatten. In einem solchen Krieg werde Deutschland bloß dann bestehen können, wenn es gelinge, waffentechnisch hoch überlegen zu sein. Canaris’ persönliche Sorge war also bekannt. Möglicherweise wurden seine späteren Äußerungen diesbezüglich deshalb nicht recht wahrgenommen, zumal er hinter alledem das mystische Motiv zu erkennen meinte, im Deutschen Reich sähen dessen Feinde die quasi göttlich legitimierte Hauptmacht der Erde, weil es im Erbe des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation stehe; und dies sei es, was die Gegner am meisten fürchten. Wie immer man zu dieser Sichtweise stehen mag, bleibt doch die Frage: hatte er – de facto – Recht? Planten die Gegner Deutschlands, angeführt von England, auf jeden Fall einen zweiten Krieg gegen das Deutsche Reich? Diese Befürchtung hat auch schon Walther Rathenau gehabt, wenngleich nicht aus quasi mystischer, sondern aus ökonomischer Sicht. Die Rüstungspolitik der einzelnen Staaten im relevanten Zeitraum wird es untrüglich verraten, wie es sich wirklich verhielt.

Die deutschen Rüstungsbemühungen zwischen 1933/34 und 1939

Die Situation Deutschlands unterschied sich grundlegend von der aller anderen nun zu betrachtenden Staaten, wobei 1933 zweifellos eine Zäsur eintrat, die nicht frei von irrationalen Komponenten war. Seit Ende des Ersten Weltkriegs litt Deutschland auf das schwerste unter den Fesseln des Versailler Vertrags, welche keineswegs allein den Rüstungssektor betrafen, diesen aber in nochmals verstärktem Maße. Welchen bis ins Groteske gehenden Einschränkungen die Reichswehr unterworfen war, ist hinlänglich bekannt. Daß beispielsweise Panzer nur durch Attrappen simuliert werden durften, ist keine Legende, sondern Tatsache. Obwohl schon in der Weimarer Zeit durch Kooperation mit Rußland in Sachen Fliegerei provisorisch nach Auswegen gesucht wurde, führte dies doch nicht allzu weit. Zivilflugzeuge durften zwar seit der 1920er Jahre wieder in Deutschland entwickelt werden, und dies geschah auch mit gutem Erfolg, doch der Motorenbau blieb gänzlich unterdrückt. Starke Motoren mußten aus dem Ausland eingeführt werden. Erst ab 1934 besserte sich diesbezüglich die Lage. Beim Aufbau der neuen Wehrmacht war dieser in vielen Bereichen eine Stunde Null. Wo praktisch keinerlei moderne Rüstungsgüter zur Verfügung standen, war vieles Neue in jeder Weise neu – also auch hinsichtlich der Konstruktionen. So wurde die neue Deutsche Wehrmacht in der Aufbauphase zu den technisch modernsten Streitkräften der Welt. Dieser Aufbau konnte aber bis Kriegsausbruch 1939 nicht annähernd abgeschlossen werden, und während des Kriegs wurde der technische Vorsprung, der leicht gehalten und sogar weiter hätte ausgebaut werden können, leichtfertig verspielt. Viele fortschrittliche Neuentwicklungen gelangten nicht oder viel zu spät an die Front. All dies ist im wesentlichen bekannt. Wenig bekannt ist hingegen, wieso die deutschen Streitkräfte de facto mangelhaft gerüstet in den Krieg gehen mußten – und warum es in den folgenden Jahren versäumt wurde, das Nötige zu tun. Daß es so kam – sowohl zum Kriegsausbruch selbst wie auch zu den rüstungstechnischen Fehlentscheidungen danach – kann in wenige Worte gefaßt werden: Fehler der politischen Führung.

Die neue Deutsche Wehrmacht war in Eile geschaffen worden, und offenkundig ohne ein durchdachtes Konzept. Wenn überhaupt von konzeptionellen Komponenten gesprochen werden kann, so in drei Punkten: 1. es sollte schnell gehen, 2. billig sein, und 3. geeignet, andere Staaten zu beeindrucken. An die Möglichkeit eines großen kriegerischen Konflikts wurde offenbar überhaupt nicht ernsthaft gedacht. Die zuvor erwähnte Kritik: „Wir betreiben eine Rüstung für große Paraden und kleine Feldzüge", traf genau in die Mitte der Wahrheit. Man mag sagen, in einem Land, in dem zu jener Zeit in allen Bereichen derart vieles zu tun war, wobei zivile Erfordernisse naturgemäß im Vordergrund standen, gab es weder die materiellen Mittel noch die Ruhe, um neu aufzubauende Streitkräfte sorgfältig durchzukonzipieren und unter Berücksichtigung jeder Eventualität zu verwirklichen. Ja, so kann man es sehen. Unter solchen Umständen aber hätte die Politik alles tun müssen, um den Ausbruch eines Kriegs zu vermeiden. Dies tat sie jedoch nicht, sondern sie handelte in einem offenkundig rauschhaften Zustand, in dem sie den Bezug zur Realität verlor.

Unsinn ist sicherlich die neuerdings gern erhobene Behauptung, das sogenannte Dritte Reich hätte aus wirtschaftlichen Gründen auf jeden Fall bald Krieg führen müssen. Da geht, wie so oft, Ideologie vor Wahrheit, und die deutsche Geschichte zwischen 1933 und 1945 ist sozusagen „vogelfrei".

Es geht an dieser Stelle nicht darum, über die Politik der NS-Führung abzuhandeln, die in den Zweiten Weltkrieg führte. Allein schon Hitlers bezeugter Ausspruch: „Was nun?", spricht dazu Bände; er hatte überhaupt nicht damit gerechnet, daß mehr als ein „kleiner Feldzug" gegen Polen anstehen könnte. In dieser Situation wäre das einzige Vernünftige gewesen, in die bittere Quitte zu beißen, dem Ultimatum der Westmächte nachzugeben, um wenigstens ein paar Jahre Zeit für die so dringend notwendige Verbesserung der Rüstung zu gewinnen – denn daß der große Krieg nicht zu vermeiden war, mußte jedem einigermaßen weitsichtigen Menschen klar sein. Aber noch hatten auch die Gegner ihre Aufrüstung nicht vollendet, hatten vor allem Deutschlands technischen Vorsprung nicht eingeholt. Bei aller politischen Demütigung, die ein sofortiger Rückzug der Wehrmacht binnen 48 Stunden aus Polen bedeutet haben würde, wäre dies doch die Chance gewesen, Deutschlands technischen Vorsprung auszubauen und zielgerichtet konzipierte Streitkräfte zu schaffen, die auch gegen die anzahlmäßige Übermacht siegreich hätte sein können; im Idealfall abgesichert durch ein vollwertiges Militärbündnis mit Rußland, um auch das drängende Problem der Rohstoffzufuhr zu lösen. Ja, die Ausweitung der Achse zu einem Quadrat Berlin-Rom-Tokio-Moskau würde die Machtverhältnisse auf der Erde sehr zu Deutschlands Gunsten verändert haben, auch wenn erneut mit einem Kriegseintritt der USA gerechnet werden mußte. Möglich, solch eine neue Konstellation hätte einen Zweiten Weltkrieg sogar tatsächlich verhindert und unserem Planeten eine lange Phase des Friedens geschenkt. Hitler wäre früher oder später sowieso gestorben, Stalin auch, und danach hätten Deutschland und Rußland zu sich selbst zurückfinden können. In der Zeit Hitlers aber fehlte es überall an Weitsicht; und die damalige deutsche Führung lebte im Rausch kurzfristiger, begrenzter Erfolge, deren Wert sie nicht einzuschätzen vermochte. Was dann geschah, ist bekannt, und das Endresultat war ebenso tragische wie logisch.

Das Deutsche Reich stolperte also unter der nationalsozialistischen Führung in den Zweiten Weltkrieg hinein. Ein solcher Krieg war nicht geplant, ja, nicht einmal als konkrete Möglichkeit bedacht worden. Das macht nichts besser, im Gegenteil, es läßt die NS-Führung sogar in einem noch schlechteren Licht erscheinen – auch und besonders gegenüber dem eigenen Volk. Wenigstens von ferne verstehbar wird dieses ganze Verhalten vielleicht psychologisch, wenn man sich den rauschhaften Zustand ausmalt, in welchem Männer wie Hitler, Goebbels oder Göring die 1930er Jahre durchlebt haben mögen: abgehoben von der Wirklichkeit, der Realität entfremdet, quasi aus dem Nichts in höchste Machtpositionen gelangt, worüber sie selber wahrscheinlich am meisten staunten. Wie mußte ein Adolf Hitler sich fühlen, wenn die Massen ihm „Heil!" zuriefen, auch Persönlichkeiten des Auslands ihn schätzten, und er überall seine Bilder dekoriert sah? All das hatte nichts Natürliches mehr an sich. Also dürfte er wirklich geglaubt haben, es sei unmöglich, daß die Geschichte einmal nicht mehr seinen Wünschen folgte. Anders ist nicht erklärbar, daß solch ein Mann von fraglos ausgeprägter Intelligenz derart hasardierte, wie er es tat, und daß er so verhängnisvollen Fehleinschätzungen unterlag. Wahrscheinlich kann das niemand verstehen, der die Zeit und die Person nicht erlebt hat (was auch für den Verfasser dieser Zeilen gilt). Hitlers sonderbare Suggestivkraft wirkte ja nicht allein auf Deutsche. Vielleicht hat die gebürtige Engländerin Winifred Wagner es am besten in den Satz gefaßt: „Es ist leicht, kein Nazi zu sein – ohne Hitler". Dieser Aspekt ist hier wichtig, weil es ansonsten unbegreiflich bleibt, wie ernsthafte Menschen, auch kluge, hervorragende Fachleute, all die Fehler mitmachen konnten, von denen nun die Rede sein wird; denn was im Zuge des Aufbaus der neuen Wehrmacht – besonders der Deutschen Luftwaffe – geschah, ist streckenweise derart grotesk, daß sich mit dem gesunden Menschenverstand kaum fassen läßt.

Die neue Deutsche Wehrmacht war aufgrund der historischen Lage kein Ergebnis einer kontinuierlichen Entwicklung. Die Reichswehr der Weimarer Demokratie hatte ihr Bestes getan, trotz der schwierigen Bedingungen schlagkräftige Streitkräfte aufzubauen. In der Weimarer Republik ist der Revanchegedanke fraglos lebendig gewesen, und das nicht allein in den Führungskreisen der Reichswehr. Aufgrund der anhaltenden Demütigungen während jener Zeit, denen Deutschland hilflos ausgeliefert zu sein schien, war das Bedürfnis nach Revanche im ganzen deutschen Volk verbreitet, unabhängig von politischer Partei. Auch die Kommunisten dachten und empfanden nicht anders. Der KPD-Führer Ernst Thälmann propagierte das Motto: „Bündnis Berlin-Moskau bringt Rettung", und hoffte auf einem siegreichen Krieg gegen die Westmächte zusammen mit Rußland (in strategischer Hinsicht war Thälmanns Idee fraglos klug). Betrachtet man all diese Dinge genauer, fällt auf, daß der Revanchegedanke in der Weimarer Zeit ausgeprägter war als nach der NS-Machtübernahme. Das ist psychologisch verständlich, da Hitlers schnelle innen- und außenpolitische Anfangserfolge den Deutschen ein Stück Selbstwertgefühl zurückgaben. Die Menschen fühlten sich der Willkür der Gewinner des Ersten Weltkriegs nicht mehr so völlig ausgeliefert wie zuvor, also nahm auch das Revanchebedürfnis ab.

In der Zwischenzeit war es der Reichswehr mit Tricks und geschickten Schachzügen gelungen, praktisch unbemerkt ein Heer auf die Beine zu stellen, das statt der laut Versailler Vertrag zugestandenen 100.000 Mann größer war als das kaiserliche Heer bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Zwar fehlte es an modernen Ausrüstung und an schweren Waffen, doch die Infanterie war ausgezeichnet und ein ernstzunehmender Faktor. Dank geheimen Zusammenwirkens mit Rußland, wurden die Anfänge für neue Luftstreitkräfte geschaffen. Desgleichen in Sachen Panzer ließ sich die Zusammenarbeit mit Rußland gut an. All dies bot den Ausgangspunkt für ein Bündnis Berlin-Moskau, welches der Geschichte einen anderen, für Deutsche wie Russen günstigeren Verlauf hätte geben können. Nach der Machtübernahme Hitlers wurde diese Chance jedoch aus ideologischen Gründen vertan.

Hitler war entschlossen, Deutschland nicht nur aus der wirtschaftlichen Krise zu führen, sondern ihm auch wieder Unabhängigkeit durch militärische Stärke zu geben. Beides ging bloß durch Aushebeln des Versailler Vertrags. Zugleich akzeptierte er Gebietsverluste, wo deutsche Minderheiten einigermaßen anständig behandelt wurden. Elsaß-Lothringen war daher kein Thema mehr, und wahrscheinlich hätten sich auch mit Tschechen und Polen keine Konflikte ergeben, wären die deutschen Minderheiten dort nicht drangsaliert worden. Mag Hitler auch diffuse Vorstellungen vom Raumgewinn im Osten gehabt haben, so spielte daß Motiv eines Revanchekriegs für 1914-18, welches in der Reichswehr der Weimarer Demokratie stets präsent gewesen war, keine Rolle mehr. Das hieß zugleich, daß die Aufrüstung nicht auf einen Krieg solchen Ausmaßes ausgerichtet zu sein brauchte. Als eventuelle Gegner kamen die Tschechoslowakei und Polen in Betracht, nicht Frankreich, England oder die USA, auch nicht das mittlerweile befreundete Italien. Adolf Hitler, der Profi des Bluffs, brauchte genau das, was Canaris ihm dann vorhielt: eine Wehrmacht „für große Paraden und kleine Feldzüge".

Die Grundlage für die Wehrmacht – wie die neuen deutschen Streitkräfte ab 1935 nach einem aus dem Jahr 1849 stammenden Begriff bezeichnet wurden – hatte schon die Reichswehr der Weimarer Republik geschaffen, allerdings noch von vielen Bestimmungen des Versailler Vertrags unterworfen, welche Hitler sorglos ignorierte. Erste weitere Schritte unternahm die SS, zu jener Zeit in militärischer Hinsicht als Tarnorganisation.

Sehr bald erfolgte nun ein Quantensprung. Dieser war jedoch von keinem klaren Konzept geleitet, es sei den, man wollte, „Hauptsache: Schau" ein Konzept nennen. Hitler war offenkundig ein ungeduldiger Mann. Er wollte alles schnell geschehen sehen. An Weitblick fehlte es ihm ebenso wie seinen sämtlichen Mitstreitern der vordersten Reihe. Die frühen politischen Erfolge haben ihn vermutlich in einen Taumel des „Alles gelingt" versetzt, so daß er gar nicht mehr zu der inneren Ruhe fand, jede Eventualität zu bedenken, was zu tun seinem Naturell aber wohl ohnehin nicht entsprach. Seit Hitlers Machtübernahme taumelte Deutschland also durch seine Geschichte; und so wurde auch die neue Wehrmacht aufgebaut.

Man knüpfte aber nicht einfach an 1917/18 an, was durch die Auswirkungen des Versailler Vertrags nicht möglich gewesen wäre. Das hatte auch einige Vorteile. So manches, was aus der Vergangenheit in die Gegenwart herüberreichte, inzwischen aber unnütz war, blieb zurück. Das war meist kein Resultat weitsichtiger Überlegung, sondern aus der Not geboren. Die durch Selbstversenkung in Scapa Flow verlorene deutsche Flotte ließ sich nicht auf die schnelle wiederherstellen, und es tun zu wollen, würde auch nicht sinnvoll gewesen sein. Bereits während des Ersten Weltkriegs hatten sich die Großkampfschiffe im Grunde als ineffizient erwiesen. Die Relation von Herstellungsaufwand, Personalbindung und Nutzen war eindeutig negativ. Die Effizienz von U-Booten war wesentlich höher. Allerdings herrschte die Meinung vor, seit Einführung des Geleitzugsystems sei der Wert von U-Booten nur noch gering. Das schon in der Weimarer Zeit erdachte Konzept der Panzerschiffe – stärker als schnellere und schneller als stärkere Schiffe – blieb plausibel, es kam auch der begrenzten Verfügbarkeit an Mitteln entgegen. Trotzdem sollte die neue deutsche Marine auch wieder Schlachtschiffe erhalten – mehr dem Prestigebedürfnis dienend als militärischer Zweckmäßigkeit. Die Schlachtkreuzer „Scharnhorst" und „Gneisenau" wurden auf Kiel gelegt, später auch „Bismarck" und „Tirpitz" sowie die schweren Kreuzer, parallel dazu auch kleinere Schiffe sowie eine nicht allzu große Anzahl von U-Booten. In keinem Bereich der Rüstung hat sich die politische Führung so wenig eingemischt wie in den der Marine. Dort waren es die zumeist noch in der Schlachtschiffphilosophie verfangenen Admiräle, die ein modernes Marinekonzept verhinderten. Da Hitler aber irriger Weise einen Krieg mit der Seemacht England sowieso ausschloß, mit den Vereinigten Staaten desgleichen, interessierte ihn der Marinebereich kaum. Gegenüber Dönitz äußerte Hitler später einmal, ihm werde schon Seekrank, wenn er bloß eine Seekarte sähe, er interessiere sich nur für den Landkrieg (leider interessierte er sich auch nicht für den Luftkrieg, der alles entschied).

Das Heer konnte bis zu einem gewissen Grade an Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg anknüpfen. Bei Infanterie und Artillerie änderte sich wenig. Die Grundausstattung des Soldaten blieb der nach wie vor gute Mauser-Karabiner 98. Ansonsten gab es MGs wie schon im Ersten Weltkrieg. Leichtere Maschinenwaffen, MPs oder gar Sturmgewehre, steckten noch in den Anfängen. Brauchbare Kanonen gab es noch aus konstruktiv alten Beständen. Die Neuerungen des Heeres waren vor allem verbesserte Fahrzeuge, insbesondere Panzer. Obschon Panzer („Tanks") im Ersten Weltkrieg nicht entscheidend gewesen waren, erkannte man das Potential solcher Geräte doch relativ frühzeitig, und zwar besonders in Deutschland, wo der Gedanke stark wurde, mit Panzern könne anzahlmäßig Truppenunterlegenheit ausgeglichen werden. Diese Überlegung führte in Deutschland zu ganz anderen Panzerkonstruktionen als in den anderen Staaten, was oft als Anzeichen für aggressive Pläne Deutschlands ausgelegt zu werden pflegt. Tatsächlich stammte das Konzept des Panzers als eigenständige Waffengattung aber von General Charles de Gaulle, der darüber auch ein Buch verfaßte. In Deutschland wurde jene Art von Panzern entwickelt, die de Gaulle sich gewünscht haben würde. Die neuen deutschen Panzerfahrzeuge waren deutlich schneller und wendiger als die der anderen Mächte. Das kam in der Praxis operativen Konzepten zugute. Die Entscheidung zum Bau solcher Panzertypen ist allerdings nicht zuletzt aufgrund des Mangels an Material und starken Motoren bestimmt worden. Zunächst waren größere, schwerere und somit auch schwerfälligere Typen vorgesehen. Das Ergänzen der leichten und mittleren durch einen schweren Panzer wäre auch sinnvoll gewesen. Doch es fehlte einfach das Geld. Die kleinen Panzer I und II, besonders aber die mittleren Panzer der Typen III und IV, die sich dann so hervorragend bewährten, sind also entstanden, weil sie sich kostengünstig und schnell in relativ großer Stückzahl herstellen ließen. Der Kriegführung zu Lande galt Hitlers persönliche Neigung – auch rein theoretisch – und daher erfuhr die Rüstung des Heeres Unterstützung so weit wie möglich (an der Ostfront sollte sich später zeigen, daß ein schwerer Panzer sehr fehlte). Ohne Frage sind die Konstruktionen Panzer III sowie der durch den ganzen Zweiten Weltkrieg in verschiedenen Versionen erfolgreiche Panzer IV die ersten Panzer moderner Bauart gewesen. Noch heutzutage ist ihre Konfiguration die übliche, auch wenn die Größenverhältnisse sich enorm verändert haben (neben einem Leopard II etwa würde ein Panzer IV wie ein Modell wirken). Nach der Besetzung Tschechiens kam noch der zwar genietete, ansonsten aber recht gute Skoda-Panzer 34(t) bei der Deutschen Wehrmacht zur Verwendung, welcher den deutschen Konstruktionen nachempfunden war. Der unter der Tarnbezeichnung „Neubaufahrzeug" (mitunter auch Großtraktor) entwickelte schwere deutsche Panzer war ebenfalls eine gute Konstruktion, die ihren Platz in der Panzertruppe hätte haben können.

Aus den schon angeführten Gründen wurden aber nur zwei Exemplare dieses Typs gebaut (die später kommenden schweren Panzer „Tiger" und „Panther" bauten auf den frühen nicht auf, sie waren ganz eigene Konstruktionen). Zu den Panzerkampfwagen erhielt die Wehrmacht weitere Ketten- und Halbkettenfahrzeuge sowie sogenannte Panzerspähwagen. Mit alledem war die neue Wehrmacht für schnelle Vorstöße begrenzten Umfangs gut ausgerüstet. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verfügte sie zwar nicht über die stärksten und zahlreichsten, alles in allem die besten Panzerkräfte ihrer Zeit, die schließlich mehr leisteten, als rechnerisch zu erwarten gewesen war.

Dem Heer, wie schon gesagt, galt Hitlers persönliche Neigung, dort hatte die Wehrmacht seine besondere Unterstützung. Die Luftwaffe indes überließ er seinem Freund Hermann Göring – und das sollte sich besonders verhängnisvoll auswirken.

Göring war, wie auch der von ihm für die Belange der Luftrüstung eingesetzte Ernst Udet, während des Ersten Weltkriegs ein hervorragender Jagdflieger gewesen. Beide waren von dieser Epoche geprägt. Im Ersten Weltkrieg hatte Deutschland bis zuletzt die Luftüberlegenheit, welche aber damals noch nicht kriegsentscheidend war. Mit Maschinen wie den Albatros und der Fokker D VII besaß die deutsche Fliegertruppe die besten Jagdflugzeuge der damaligen Jahre. Das waren, dem Stand der Zeit entsprechend, noch Doppeldecker mit starrem Fahrwerk. Nicht allein in Deutschland, sondern in allen Ländern stellte man sich auch Anfang der 1930er Jahre ein Jagdflugzeug noch so vor. Dabei gab es bereits schnelle Eindecker mit einziehbarem Fahrwerk, wie etwa das 1932 auf den zivilen Markt gekommene Postflugzeug He 70 von Heinkel, das in eine neue Richtung wies. Unter solchen Einflüssen war während der deutsch-russischen Zusammenarbeit in Rußland schon ein erstes Jagdflugzeug als Eindecker mit Einziehfahrwerk entwickelt worden, die Polikarpow I 16. Aus dieser Konstruktion sollte das erste moderne Jagdflugzeug der Welt entstehen, welches sich dann im Spanischen Bürgerkrieg hervorragend bewährte. In Deutschland blieb man aber zunächst bei der Vorstellung eines Doppeldeckers mit starrem Fahrwerk. Mit der He 61 wurde solch eine Maschine zum ersten Jagdflugzeug der neuen Deutschen Luftwaffe. Im Spanischen Bürgerkrieg zeigte sich schnell, daß die He 61, genau wie die italienischen Doppeldecker, den nach Spanien gelieferten russischen I 16 in keiner Weise gewachsen war. Unter dem Spitznamen „Rata" (Spanisch: Ratte), welchen die I 16 bald erhielt, wurde sie berühmt und gefürchtet. Erst das Erscheinen der Me 109, sowie einer Versuchsstaffel He 113, am spanischen Himmel änderte die Lage. Diesen war nun die „Rata" nicht mehr gewachsen. Es hatte sich in der Praxis gezeigt, daß ein neuzeitlicher Krieg ohne kampfstarke Jagdflugzeuge nicht zu gewinnen war.

Die Entwicklung eines modernen Jagdflugzeugs war tatsächlich schon 1934 vom Reichsluftfahrtministerium (RLM) in Auftrag gegeben wurden. Die Firmen Arado, Focke-Wulf, Heinkel und Messerschmitt wurden aufgefordert, Vorschläge zu präsentieren. Die von Arado und Focke-Wulf erwiesen sich schnell als untauglich. Der Wettbewerb spitzte sich zwischen Heinkel und Messerschmitt zu. Der erste Entwurf der He 112 (He 113) erfüllte noch nicht alle Erwartungen. Die Me 109 dagegen schien ein gelungener Entwurf zu sein. Sie basierte in mancherlei Hinsicht auf dem erfolgreichen Sportflugzeug Me 108. Das war signifikant für die deutsche Luftrüstung bis 1939: die meisten Flugzeugtypen sind mehr oder weniger Adaptationen von Zivilmaschinen gewesen. Gemessen an dem, was dann als Bomber und Transportflugzeugen (Ju 52) verfügbar wurde, war die Me 109 schon ein Vollblut-Militärflugzeug, und bei ihrem Erscheinen fraglos das beste der Welt. Die Bf 109 – wie ihre offizielle Bezeichnung lautete – machte auch bald durch Vorführungen vor ausländischen Gästen Furore. Keine Frage, daß weder Frankreich noch Britannien, die USA oder Rußland noch sonstwer Gleichwertiges besaßen. Und doch entstand somit ein trügerisches Bild; denn die Me 109 hatte auch Schwächen. Ihre schwerwiegendste Schwäche war die geringe Reichweite. Über Kampfstätten auf engem Raum spielte das keine Rolle. Wurde also rein defensiv gedacht, oder in kleinen Feldzügen, konnte die geringe Reichweite in Kauf genommen werden. Wollte man aber einen großen Krieg ausfechten, etwa gegen England oder gar gegen das riesige Rußland, war die Me 109 die falsche Wahl – und sie war ohnehin nur die zweitbeste der Lösungen, welche die deutsche Industrie anbot.

Heinkel hatte nämlich nicht bloß die He 112/113 verbessert, sondern auch noch ein völlig neuartiges Jagdflugzeug geschaffen: die He 100 (trotz niedrigerer Nummer später gekommen), hätte vermutlich zum besten Jagdflugzug des Zweiten Weltkriegs werden können (läßt man die späteren Düsenjäger jetzt einmal außer Acht). Die He 100 war 1939 rund 200 km/h schneller als die Me 109 – quasi eine andere Welt! Außerdem verfügte sie über ein breitstehendes Fahrwerk, was Start und Landung viel einfacher machte als das schmalstehende der Me 109, durch welches es zu zahlreichen Unfällen kam. Die He 100 besaß nicht nur ein einziehbares Hauptfahrwerk, sondern auch ein einziehbares Spornrad, was der Aerodynamik und damit der Höchstgeschwindigkeit diente. Die He 100 war vor Kriegsausbruch schon so schnell wie die besten alliierten Jagdflugzeuge bei Kriegsende. Es ist richtig zu sagen: die Entscheidung des RLM gegen die He 100 bedeutete wahrscheinlich die halbe Niederlage im Zweiten Weltkrieg. Heinkel hielt einen solchen offenbar nicht für unmöglich. Zur Erweiterung des Aktionsradius’ der He 100 hatte er auch bereits abwerfbare Zusatztanks angedacht. Als Ernst Udet die He 100 zum ersten Mal selber flog, stellte er mit dieser Maschine sofort einen neuen Geschwindigkeitsweltrekord auf. Man sollte meinen, das hätte ihn und die gesamte deutsche Führung gefreut. Doch nein, weit gefehlt, denn es war längst beschlossene Sache, das Geschäft mit dem neuen „Standardjäger" der Deutschen Luftwaffe der Messerschmitt AG zukommen zu lassen. Willi Messerschmitt war ein persönlicher Freund von Rudolf Heß, während der „alte Monarchist" Ernst Heinkel sich keiner großen Beliebtheit bei der politischen Führung erfreute. Außerdem gab es aber auch ein sachliches Argument für die Me 109 und gegen die He 100: die Me 109 war produktionstechnisch billiger, und das führte schließlich zu der bekannten Entscheidung. Ernst Udet sprach damals wörtlich aus: „Wir gewinnen einen Krieg auch mit der Me 109". Er wußte genau, daß die Deutsche Luftwaffe nicht das beste Jagdflugzeug erhielt; und als er die Folgen dieser Fehlentscheidung erkannte, ohne neue Wege durchsetzen zu können, erschoß er sich konsequenter Weise. Gedient hat er mit seinem Freitod freilich niemandem. Udet wußte aber genau, daß er ein übles Spiel mitgespielt hatte: Heinkels He 100 blieb das schnellste Jagdflugzeug der Welt, und zwar mit großem Vorsprung. An Messerschmitt erging die Aufforderung, diesen Rekord um jeden Preis zu brechen. Mit der Me 109 war das nicht möglich. Also wurde ein Schwindel nötig. Die Messerschmitt AG baute ein reines Rennflugzeug, das wegen Verzichts Motorkühlung nur ca. 20 Minuten in der Luft bleiben konnte und auch optisch nichts mit der Me 109 gemeinsam hatte. Trotzdem wurde Messerschmitts Rennflugzeug Me 209 von der Propaganda als „Me 109 R" bezeichnet. Die Me 209 erzielte tatsächlich einen neuen Geschwindigkeitsweltrekord: 755 km/h. Heinkel wollte sofort antreten, um diesen Rekord mit seiner He 100 zu brechen – mit einem serienmäßige Jagdflugzeug, daß diese Leistung auch an den Fronten eines Kriegs gebracht haben würde. Den Rekord der Me 209 zu brechen, wurde Heinkel jedoch bei Androhung von Strafe verboten. Sowohl die Konstruktion He 100, wie auch deren Vorgängerin He 112/113, mußte auf höchste politische Anordnung ins Ausland verkauft werden. Die deutschen Piloten sollten nicht erfahren, daß sie nicht das beste Flugzeug erhalten hatten. Udets Einschätzung, Deutschland würde einen nächsten Krieg auch mit der leistungsschwächeren Me 109 gewinnen können, setzte voraus, daß ein solcher, falls er käme, sich auf einen begrenzten Konflikt von geringer Dauer beschränken würde, denn ihm muß klar gewesen sein, daß das Ausland im Laufe der Zeit aufholen würde – zumal die Me 109 auch exportiert wurde, von anderen also als Vorlage herangezogen werden konnte. Dazu kam der Verkauf der Heinkel-Jäger in andere Länder. Hätte man gesagt: die billiger herzustellende Me 109 – die ja durchaus eine gute Konstruktion war – und die He 100, so wäre das eine gute Entscheidung gewesen. Die Me 109 allein aber war definitiv falsch, auch wenn deren spätere Entwicklungsstufen erstaunliche Leistungssteigerungen brachten. Das war aber nicht zuletzt der Motorenentwicklung zu verdanken. Auch von der He 100 wären weitere Leistungssteigerungen zu erwarten gewesen.
Nur der Vollständigkeit halber sei noch der zweimotorige, zweisitzige „Zerstörer" Me 110 erwähnt, ein völlig unnötiges Flugzeug, das aber im Trend der Zeit lag. Auch andere Länder arbeiteten an einem „schweren Jäger". Da noch keinerlei praktische Erfahrungen mit dem modernen Luftkrieg bestanden, war das Fehldenken des „schweren Jägers", der dann selbst Jagdschutz durch einmotorige Einsitzer brauchte, entschuldbar. Über strategische Überlegungen sagt die Me 110 nichts aus. Als Nachtjäger hat sie sich später, obwohl veraltet, recht gut bewährt. Allerdings hätten für diesen Zweck bessere Konstruktionen zur Verfügung gestanden.

Mehr als die Jagdflugzeuge, zeigen aber ohnehin die Bomber. Mit welcher Art von Bombern ein Staat sich rüstet, sagt das meiste über seine Absichten aus.

In Deutschland ist da zunächst auf den berühmten STUKA (Ju 87) einzugehen, der in der ersten Phase des Zweiten Weltkriegs zu einem Sinnbild deutscher Kriegführung wurde. Die Idee zum Sturzkampfbomber kam Ernst Udet während eines Besuchs in den Vereinigten Staaten. Udet, der passionierte Kunstflieger, besuchte dort eine Kunstflugvorführung, bei der Curtis-Doppeldecker senkrecht aus dem Himmel stürzten und dann direkt landeten. Udet ließ zwei solcher Curtis-Maschinen kaufen und nach Deutschland bringen. Ob anfänglich nur zu seinem Privatgebrauch oder schon mit der Idee des Sturzkampfbombers, ist ungewiß. In Deutschland entwickelte Udet aber das Konzept des Angriffs im Sturzflug. Zunächst wurde der Doppeldecker Hs 123 als möglicher „Stuka" ins Auge gefaßt. Dann aber erging an Junkers und Heinkel die Aufforderung, Vorschläge für einen ganz speziellen Sturzkampfbomber zu unterbreiten. Als Sieger aus dem Wettbewerb ging die Ju 87 hervor. Heinkels Konkurrenzkonstruktion wurde an das verbündete Japan verkauft, wo diese Maschine unter der Bezeichnung Aichi D3A gebaut und auf dem pazifischen Kriegsschauplatz erfolgreich eingesetzt wurde. Der Stuka ist ohne Frage eine offensive Waffe. Deshalb wird er oft ein Zeichen für aggressive Absichten Deutschlands genannt. Hinsichtlich „kleiner Feldzüge" (um auf dieses Zitat nochmals hinzuweisen) trifft das auch zu. Für einen großangelegten Krieg aber war der Stuka kaum zu gebrauchen. Das zeigte sich bald auch sehr deutlich. Er ist eine rein taktische, keine strategische Waffe. Der Sturzkampfbomber kann nur kleine Punktziele angreifen, er ist für das Ausschalten militärischer Ziele gedacht. Um ganze Städte zu bombardieren, sind Stukas gänzlich ungeeignet. Wenn aus der „Stuka-Philosophie" also ein Rückschluß auf kriegerische Absichten abgeleitet werden kann, so ist es allein der, daß zivile Ziele nicht ins Auge gefaßt waren.

Betrachtet man die klassischen Bomber der Deutschen Luftwaffe bis Kriegsausbruch, so haben wir es vor allem mit zweimotorigen Typen mit relativ geringer Nutzlast und äußerst begrenzter Reichweite zu tun: die He 111 (ein adaptiertes Passagierflugzeug)

 

und die Do 215 / Do 17 (ein adaptiertes Postflugzeug). Auch das Passagierflugzeug Ju 86 wurde anfänglich zum Bomber umgebaut, konnte sich als solcher jedoch nicht bewähren. Die erste von Anfang an als Bomber geplante Maschine für die Deutsche Luftwaffe, die Ju 88, stand 1939 noch nicht zur Verfügung. Da sie sich aber bereits vor Kriegsausbruch in Entwicklung befand, muß sie als Zeichen für Absichten mit beachtet werden. Auch die Ju 88 war nur zweimotorig, von mittlerer Größe und hatte nur eine mittlere Reichweite. Ursprünglich als Horizontalbomber entworfen, wurde dann ein „großer Stuka" aus ihr – wie überhaupt das Dogma entstand, alle Bomber müßten „Stukas" sein (eine absurde Forderung, die später sogar für die große He 177 gestellt wurde). Bezüglich der deutschen Luftrüstungsanstrengungen ist somit klar, daß alle Ambitionen fehlten, einen ausgedehnten Krieg, etwa gegen England oder Rußland, zu führen. Auch für eine militärische Auseinandersetzung mit Frankreich war sie nicht vollauf geeignet. Daß große Kriege mit der vorhandenen Ausrüstung nicht möglich waren, zeigte sich 1941 im Kampf gegen England: die mittleren Bomber vermochten nur kleine Teile der Insel zu erreichen, und die Jäger mußten schon nach einer Viertelstunde über London die Luftkämpfe abbrechen. Vermutlich gingen mehr Me 109 durch Treibstoffmangel auf dem Rückflug verloren als im Kampf mit britischen Jägern. Für eine solche Auseinandersetzung hatte Deutschland ganz einfach die falschen Flugzeuge gebaut. Dafür mag es verschiedene Gründe gegeben haben, der ausschlaggebende aber war: ein solcher Krieg wurde nicht einmal theoretisch vorausgesehen, geschweige denn, daß er beabsichtigt gewesen sei.

Ähnlich wie im Bereich der Jäger, hat aber auch bei den Bombern durchaus die Möglichkeit bestanden, ganz anders vorzugehen als es geschah. Die ersten viermotorigen Langstreckenflugzeuge waren in Deutschland gebaut worden. Berühmt wurde das Verkehrsflugzeug Fw 200 „Condor", das sich aber nicht zum Bomber umbauen ließ (es wurde später lediglich als Fernaufklärer eingesetzt). Sowohl Dornier wie auch Junkers präsentierten aber Prototypen für große, viermotorige Langstreckenbomber – strategische Bomber, wie sie für einen Krieg etwa gegen England notwendig gewesen wären: die Do 19 und die Ju 89. Beide Maschinen waren gute, weiterentwicklungsfähige Konstruktionen. Sie nahmen optisch den Eindruck vorweg, den später die amerikanischen B-17 boten. Göring und das RLM aber zeigten an der Do 19 und der Ju 89 kein Interesse.

 

Das Scheinargument, es mangele an starken Motoren, war eine Ausrede. Solche viermotorigen Flugzeuge waren dem RLM einfach zu teuer, zumal: man meinte, sie nicht zu brauchen. So wurden die ersten strategischen Langstreckenbomber der Welt – verschrottet (resp. eine Ju 89 zum Passagierflugzeug umgebaut).

Dazu soll Hermann Göring getönt haben: „Der Führer fragt mich nicht, wie groß sind deine Bomber und wie weit können sie fliegen, sondern wie viele Bomber hast du?" Und Göring wollte mit eine verhältnismäßig hohen Stückzahl prahlen.

So zog die Deutsche Luftwaffe in einen Krieg, für den sie nicht geschaffen und demzufolge auch nicht geeignet war. In Ermangelung strategischer Bomber war es nie möglich, die Rüstungsindustrien im Hinterland des Gegners zu treffen, und weil die besten Jäger fehlten, welche die größere Quantität des Gegners durch erheblich höhere Qualität hätten ausgleichen können, ging die Luftherrschaft verloren. Wenn Hitler sich trotzdem mit Rußland anlegte, darf da nicht nach rationalen Erwägungen gefragt werden – denn Adolf Hitler dachte nicht rational. Das Resultat ist Geschichte. Als die neue Wehrmacht, somit auch die Deutsche Luftwaffe, aufgebaut wurde, hat sicherlich auch Hitler nicht an die Möglichkeit eines Zweiten Weltkriegs gedacht.

Durch die ersten Einsätze der Deutschen Luftwaffe mit der Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg entstand vor der Welt ein Bild, das Fachleute bestimmt richtig erkannten, für Politikern und Journalisten aber war wie eine Demonstration einer ungeahnten Luftmacht. Diese hat es nicht gegeben, doch der Eindruck breitete sich aus. Und abermals gilt das Wort von der Rüstung „für kleine Feldzüge und große Paraden". Hitler, dessen Politik stets auf Schau und Bluff aufbaute, war zufrieden. Um einen „richtigen" Krieg gegen starke Gegner auszufechten aber reichte das Vorhandene nicht aus. Darüber dürfte sich auch Hitler latent im klaren gewesen sein. Die Wirklichkeit der deutschen Rüstung von 1934 bis 1939 läßt sich einfach zusammenfassen: sie war fern davon, die Eventualität eines großen Konflikts auch nur in Betracht zu ziehen.

Bliebe schließlich noch zu erwähnen, wie die damalige deutsche Führung das erste Düsenflugzeug wahrnahm, Heinkels He 178. Göring ignorierte den sensationellen Erstflug der He 178 völlig, und Udet wartete diesen auf dem Testgelände gar nicht erst ab, sondern verließ es mit den Worten: „Das Ding hat ja keinen Propeller, und statt Tragflächen nur Trittbretter".

Alles in allem zeigt sich, daß Deutschland 1933 in die Hände von Leuten geraten war, denen es an der Fähigkeit fehlte, zu erkennen, was notwendig war und das Richtige für die Nation zu tun.

Fortsetzung folgt

       
               
               
     

       
               
               
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