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100  Jahre  'Liemba'
 
Die Unzerstörbare

       
     
       
     

100 Jahre Liemba  -  Die Unzerstörbare

       
     
       
     

100 Jahre "Liemba": Die Unzerstörbare

Von Sarah Paulus

Zweimal sank die "Liemba" auf Grund, trotz veralteter Technik ist sie bis heute unermüdlich im Einsatz: Das 100-jährige deutsche Schiff pendelt zwischen Tansania und Sambia. An Bord tobt das Leben - Gesang und Tanz in den Baderäumen inklusive.

Ein Hahn kräht. Laut und ausdauernd. Neugierig hangele ich mich aus dem Doppelstockbett meiner quadratisch-praktischen Kajüte mit dem Charme eines Jugendherbergszimmers vor 30 Jahren und überblicke mein Reich. Tisch, Stuhl, Schrank, Waschbecken nebst Spiegel. Ein Ventilator, drei Fenster. Herz, was willst du mehr. Zunächst einmal wissen, wer da kräht.

Neugierig folge ich dem heiseren Gekrächze und finde das Tier auf dem Brückendeck. Ein echtes Prachtexemplar mit stämmigen Keulen, das an einer Metallkiste festgebunden ist und grimmig dreinschaut. Auf dem Brückendeck der "Liemba", dem einzigen regulären Passagier- und Frachtschiff des Tanganjikasees, begrüßt uns der neue Tag mit einem roten Feuerball. Ich blinzele den Gockel an, er kräht zurück. Guten Morgen, Afrika.

Die "Liemba", ehemals "Goetzen", wurde 1913 in der Papenburger Meyer Werft für den Einsatz am Tanganjikasee erbaut, wo sie während des Ersten Weltkriegs zweimal versank. 1924 konnte sie nach zwei Jahren Bergungsarbeiten und acht Jahren unter Wasser von Spezialisten der Royal Navy gehoben werden. Bis heute pendelt sie über den Tanganjikasee, zwischen Kigoma am tansanischen Nordufer und Mpulungu im sambischen Süden. Zwei Tage und Nächte, manchmal auch drei, dauert die Fahrt über die etwa 570 Kilometer lange Strecke mit ihren 16 Haltepunkten. Mangels passabler Hafenanlagen ankert die "Liemba" meist Hunderte Meter vom Ufer entfernt.

So auch jetzt in Msamba, der vierten Station seit unserer Abfahrt in Mpulungu. Kaum hat das Schiffshorn die Ankunft verkündet, setzt sich vom Ufer aus eine schlagkräftige Armada aus einheimischen Zubringern mit bunten Holzkähnen in Bewegung. Am Ruder ackern muskulöse Mannsbilder gegen Strömung und Wellengang, um Reisende aus dem Dorf und der nahen Umgebung zum Schiff zu bringen und damit ein bescheidenes Zubrot zum Lebensunterhalt verdienen.

Ziel der Regatta ist ein günstiger Platz mit dem Kahn an der Schiffsluke, möglichst in erster Reihe: So können nicht nur die zahlenden Passagiere effizient entladen, sondern zugleich auch viele neue Fahrgäste vom Schiff an Bord genommen werden.

Generalüberholung dringend nötig

Entsprechend wehrhaft werden lukrative Positionen notfalls mit dem Paddel verteidigt, während ungeduldige Insassen unerschrocken von einer schwankenden Nussschale zur nächsten klettern. Einige Sportskanonen entern das Schiff über die Außenwand. Mit viel Geschrei, Gerangel und Gepäck, versteht sich. Mit Strohsäcken, Stoffbeuteln, Rollkoffern, Hühnern und Babys, die auf dem Rücken ihrer Mütter hin- und herbeuteln und das muntere Treiben mit großen Kulleraugen bestaunen. Wer es an Bord geschafft hat, schaut vom Zwischendeck zu. Kameras knipsen, was die Speicherkarten hergeben.

Alles und jeder findet Platz an Bord der 67 Meter langen und zehn Meter breiten "Liemba". "600 Passagiere und 200 Tonnen Fracht", sagt Kapitän Titus Benjamin Mnyanyi, während wir in der Kantine, hier liebevoll Bordrestaurant genannt, auf das Frühstück warten. Um uns herum scharen sich andere Frühaufsteher an wackligen Tischen mit Blümchendecken und löffeln eine milchige Suppe mit vereinsamten Nudeln. Unter den Augen von Staatspräsident Jakaya Kikwete, dessen Abbild über der Durchreiche hängt. Gegenüber befindet sich der schönste Ort des Schiffes: der Tresen für den Durst, wo das Bier niemals ausgeht und immer eiskalt ist.

"Sie ist ein starkes Schiff", lobt Kapitän Titus die alte Dame "Liemba", seine Liebe und sein Leben seit 20 Jahren. Neben Frau und Kindern. Mittlerweile jedoch seien die Maschinen alt, der Dieselverbrauch mit 12.500 Litern für die Hin- und Rückfahrt sei viel zu hoch und eine Generalüberholung dringend notwendig.

Jenseits der altersbedingten Wehwehchen jedoch stampft das alte Schlachtross wacker über den See, stoisch und scheinbar unverwüstlich. "Momentan haben wir viel Fracht an Bord. Tonnenweise Trockenfisch, Mais und Zement", erzählt der Kapitän. Gut für die "Liemba", die sich, wenn überhaupt, über das Frachtgeschäft rechnet.

Ausländer zahlen mehr

Am Nachbartisch sitzt der 29-jährige Anderson Nkwayu aus Lubumbashi und tippt auf seinem Smartphone. Er kommt aus Ruanda und verbrachte den Großteil seiner Kindheit zwischen Bürgerkriegen, Vertreibung und Verwüstung. "Ich habe vier Jahre in Flüchtlingslagern in Mosambik verbracht und 80 Prozent meiner Familie verloren", berichtet er. Anderson spricht fünf Sprachen und arbeitet als Rechtsanwalt bei einer amerikanischen Nichtregierungsorganisation.

Er blickt zu den Wänden des alten deutschen Schiffes und sagt, dass er "Made in Germany" immer ungesehen kaufen würde. Mit der "Liemba" reist er öfter, meist in einer Kabine der zweiten Klasse, für die er als Non-Resident 90 US-Dollar (etwa 70 Euro) berappen muss, während Einheimische für die gleiche Unterbringung umgerechnet etwa 30 Euro zahlen.

Im Gegensatz zu Anderson und mir können sich die meisten Passagiere keine Kabine leisten und verbringen die Fahrt in der dritten Klasse, wo sich das Bordleben jenseits vom Tageslicht abspielt, im müden Schein matter Deckenleuchten. Im Haupt- und Unterdeck campieren Hunderte Menschen auf Bänken, Planken und in jedem Winkel, zwischen Auslagen mit Seife, Zahnpasta, Keksen, Flip-Flops und Mangos, die von Händlern feilgeboten werden. Als Begleitmusik stampfen die Schiffsmotoren. Stunde um Stunde, unentwegt. Die Luft ist getränkt von Feuchtigkeit, Schweiß und strengen Gerüchen.

Kein stilles Örtchen

Auf der "Liemba" wird ständig gewaschen und geduscht. Tagein, tagaus. Von früh bis spät. Viele Passagiere schummeln sich durch die Absperrungen zum Promenadendeck der ersten Klasse, wo für Männlein und Weiblein je drei Toiletten, eine Dusche und mehrere Waschbecken zur Verfügung stehen. Ein unerhörter Luxus für viele Einheimische. Entsprechend hoch ist der Andrang, zumal sanitäre Anlagen in den unteren Decks zwar vorhanden, aber ganz bestimmt nicht ausreichend sind.

Jedes Mal, wenn ich das so gar nicht stille Örtchen besuche, befinde ich mich in enger Gemeinschaft mit teils vollständig entkleideten Körpern jeglichen Alters. Frauen, die die Waschzeit effizient nutzen und sowohl Kleidung als auch ihre Rundungen schrubben. Nackte Kinder, die auf dem nassen Fußboden hocken. Babys, die eingeseift in den Waschbecken sitzen und dem Treiben interessiert folgen. Drumherum Wäschehaufen und quietschbunte Plastikeimer. Plötzlich fangen die Frauen an zu singen und wiegen die Körper im Takt. Ein Fest der Volksmusik, das man aus erster Reihe genießen kann. Privatsphäre ist in Afrika eine Sache, nach der kein Hahn kräht.

Ein Luxusschiff ist die "Liemba" nicht. Touristischen Schnickschnack sucht man vergebens. Die meisten Passagiere sind Anrainer, weil die Schiffspassage mangels befahrbarer Straßen entlang des Seeufers alternativlos ist. Viele weitere sind Weltenbummler auf der Suche nach einem echten Stück Afrika. Jenseits von Luxussafaris und Palmenstränden.

In diesem Jahr feiert das Schiff seinen 100. Geburtstag. Happy Birthday, "Liemba", Grande Dame aller afrikanischen Seen.

Hinweis: R.G. Wackenberg hat auch ein Buch zu diesem Thema verfasst.

       
               
               
     

       
               
               
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