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Rundblick |
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Atlas shrugged |
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"Atlas shrugged" Monumentales Epos gegen staatliche Regulierungswut Es lohnt, einen Blick auf das neben der Bibel einflussreichste Buch in den USA zu werfen: "Atlas shrugged". Ayn Rands Anti-Utopie beschreibt die Tyrannei des Staates gegenüber den Leistungsträgern. Von Ansgar Graw, DIE WELT, 3. Jan.2013
Die Essenz meiner Philosophie ist das Konzept des Menschen als eines heroischen Wesens, der sein eigenes Glücklichsein zum moralischen Ziel seines Lebens setzt, der produzierende Tätigkeit als seine ehrenwerteste Tätigkeit ansieht und Vernunft als einzige Absolutheit", erläuterte Rand. Der Romantitel bezieht sich auf den Titanen, der nach der griechischen Mythologie die Welt auf seinen Schultern trug. Irgendwann aber zuckte Atlas die Achseln und ließ den Globus fallen – zermürbt von einer Gesellschaft, die sich durch ständige Rufe von Moralisten nach sozialen Wohltaten und vermeintlicher Gerechtigkeit in eine Diktatur verwandelte. Gegen schleichende Enteignung Parabel vor dem Hintergrund eines komplexen Geflechts aus Politthriller, Lovestory und Science Fiction: Eine starke Frau, Dagny Taggard, die Managerin eines Eisenbahnkonzerns, kämpft gegen wachsende staatliche Regulierungswut, wirtschaftlichen Niedergang und die schleichende Enteignung des materiellen und geistigen Eigentums. Sie verliebt sich dabei nacheinander in drei überlebensgroße Männer, allesamt prinzipienstark und rücksichtslos und dem eigenen unternehmerischen Erfolg verpflichtet. Zwischendurch verschwinden auf mysteriöse Weise die fähigsten Industriellen und Wissenschaftler, einer nach dem anderen, auch Taggards Liebhaber. Sie ziehen sich zurück in ein Versteck in den Rocky Mountains, wo sie eine Art Leistungsträger-Kommune im Zeichen des Dollar gründen. Im Rest der USA kollabiert das System, Hungerrevolten und Bürgerkrieg folgen. Einflussreicher ist nur die Bibel Der 1200 Seiten starke Roman ist in Deutschland bestenfalls unbekannt (aber unter dem Titel "Der Streik" neuerdings wieder in Übersetzung erhältlich) und schlechtestenfalls geächtet als kapitalistisches Machwerk. Doch "Altas Shrugged" ist eines der einflussreichsten Bücher der Weltgeschichte. Als 1991 die Washingtoner Library of Congress nach dem Buch fragte, das "Ihr Leben am stärksten veränderte", kam das im Oktober 1957 erschienene Werk hinter der Bibel auf Platz zwei. Ayn Rand hat in ihrem Roman die politischen Meta-Ebenen der Vergangenheit und der Gegenwart verquickt. Die Vergangenheit, das war die Oktoberrevolution in ihrer Heimat, wo Rote Garden in St. Petersburg den Vater aus seiner Apotheke jagten und um seine bürgerliche Existenz brachten. Die Gegenwart, in der "Atlas Shrugged" entstand, das waren die 40er Jahre in den Vereinigten Staaten, als Franklin D. Roosevelt nach der Großen Depression im "New Deal" Beschäftigungsmaßnahmen finanzierte, Wohlfahrtsprogramme startete und Preise regulierte. "Big Government" blies zum Halali auf den Kapitalismus, und Rand entdeckte dahinter die Fratze eines neuen Totalitarismus. Recht auf Leistung und deren Früchte Die Auseinandersetzung geht bis heute weiter: Soll der Sozialstaat Armut bekämpfen? Kann er die wachsende Kluft zwischen absteigender Mittelklasse und dem oberen einen Prozent überbrücken? In Europa gilt, ungeachtet der aktuellen Erfahrungen mit überschuldeten Staatshaushalten, ein "Ja" auf beide Fragen als selbstverständlich. In den USA gibt es diesen Konsens nicht. 64 Prozent der Amerikaner erklärten in einer Gallup-Umfrage "Big Government" zur größten Gefahr für die Gesellschaft. 26 Prozent entschieden sich für "Big Business". In einer solchen Gesellschaft fasziniert der in Streik tretende Atlas auch 55 Jahre nach seinem Ersterscheinen. Dabei ist Rands Ideengebäude, das sie selbst als Philosophie des "Objektivismus" verstand, kein Aufruf zu amoralischem Faustrecht. Die libertäre Frau, die offene Ehen und sexuelle Freizügigkeit in ihren Büchern beschrieb und im Leben praktizierte, forderte nur die völlige Freiheit des Individuums. Dazu gehört das Recht, Geld und Reichtum durch eigene Leistung zu verdienen. Ihre makellosen Helden, allen voran John Galt, der Atlas der Gegenwart, aber auch Dagny Taggart, schaffen das: Sie sind hochintelligent bis genial, willensstark ohne Selbstzweifel, zudem körperlich fit. Der Gefahr lachen sie ins Gesicht und Schnupfen kennen sie nicht. Das klingt nach "Survival of the fittest". Keine Chancengleichheit ohne Staat Doch es kommen auch einfachere Charaktere vor, die gleichwohl heldenhafte Züge haben. Gleich auf Seite Zwei ihres Opus biegt "ein Bus, fachmännisch gelenkt, um die Ecke". Auch gewissenhafte Fabrikarbeiter, pflichtbewusste Bahnangestellte, die kluge Sekretärin eines Stahlbarons werden gelobt. Rücksichtslosigkeit fordert Rand nicht. Sie ist nicht gegen Wohltätigkeit, "aber ich bekämpfe die Idee, dass Wohltätigkeit eine Pflicht und vorrangige Aufgabe ist". Wo aber bleiben die Kranken, die Behinderten, die Alten, die Schwachen, jene, die nicht in der Lage sind, durch eigene Leistung Geld zu verdienen? Das Almosen, das die Helden in "Atlas Shrugged" gelegentlich Landstreichern zustecken, kann nicht das Konzept sein für eine mobile Massengesellschaft. Es funktioniert nicht in den USA, wo der Abstand zwischen einer winzig kleinen, immer reicheren Oberschicht und einem an Wohlstand verlierenden Mittelstand zunimmt, und auch nicht in der Entwicklungssupermacht China. "Die Oberklassen sind die Vergangenheit einer Nation; die Mittelklasse ihre Zukunft", schreibt Rand. Doch Aufstiegsmöglichkeiten und Chancengleichheit gibt es nicht ohne Staat oder gegen den Staat, ondern nur mit einem Staat, der klug reguliert. Die Antwort auf die Probleme moderner Gesellschaften hat Ayn Rand nicht gefunden. Doch ihr warnendes Werk bleibt von zeitloser Brisanz. Atlas hat die Welt nicht abgeworfen. Aber wir sollten wissen, dass seine Kraft endlich ist. © Axel Springer AG 2012. Alle Rechte vorbehalten
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