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Aussenpolitisch ist Europa eine Null |
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DIE WELT, 25. Dez. 2012 Rachida Dati
Als Rachida Datis Büroleiter uns mitteilt, dass Rachida Dati gerne mal mit der "Welt" plaudern würde, sind wir natürlich sofort einverstanden. Die ehemalige Justizministerin unter Nicolas Sarkozy ist heute Abgeordnete im Europaparlament und Bürgermeisterin im siebten Pariser Arrondissement. Die 47-jährige Tochter einer Algerierin und eines Marokkaners ist in der Banlieue aufgewachsen und heute eine der schillerndsten Figuren in der französischen Politik. Im Streit um den Vorsitz der konservativen UMP unterstützte sie Jean-François Copé. Mit dessen Rivalen François Fillon liefert sie sich einen heftigen Kleinkrieg, seit der ehemalige Premierminister ihr ihren sicheren Pariser Wahlkreis für die Parlamentswahlen wegschnappte. 2014 möchte Rachida Dati Bürgermeisterin von Paris werden. Kürzlich sorgte ihre Klage gegen mehrere französische Medien für Schlagzeilen, die über das Vaterschaftsverfahren berichteten, das sie gegen den Hotelbesitzer Dominique Desseigne anstrengt. Der Unternehmer soll der Vater ihrer dreijährigen Tochter Zohra sein Rachida Dati empfängt uns kurz vor Weihnachten in ihrem Büro in der Mairie des siebten Pariser Arrondissements. Neben ihrem Schreibtisch stehen diverse Tüten mit Weihnachtsgeschenken, vor dem Kamin steht das rosa Puky-Fahrrad (mit Stützrädern) ihrer Tochter. Die lässt sich aber lieber von Mutter schieben, als selbst in die Pedale zu treten, berichtet Rachida Dati. Die Welt: Schön, dass Sie mit uns sprechen... Rachida Dati: Ich finde, Deutschland ist ein interessantes Land in Gesellschaftsfragen. Das ist ein Land, das mit sich selbst versöhnt ist. All die Schwierigkeiten, die wir heute mit anderen Ländern haben, hat Deutschland mit sich selbst gehabt. Es hat die Wiedervereinigung gemeistert, den Osten mit dem Westen zusammengebracht. Und abgesehen davon, dass es den Frieden in Europa mit gewährleistet hat, entwickelt es sich zu einem Land, das mit sich selbst in Harmonie lebt. Ich sage nicht, dass es überhaupt keine Probleme gibt, aber es ist ein interessantes Modell. In wichtigen Fragen wie Sicherheit, Zuwanderung, Schulen, Arbeit, Ausbildung, Rolle der Frauen ist es ein Land, das sich von den anderen Europäern unterscheidet. Ein altes Land, aber sehr besonders. Die Welt: Aber gerade, was die Lage für berufstätige Frauen betrifft, schaut man in Deutschland eher neidisch nach Frankreich. Dati: Man muss in der Tat feststellen, dass Deutschland es Frauen mit Kindern nicht leicht macht, berufstätig zu sein. Das französische Modell der "école maternelle" ist relativ einzigartig in Europa. In anderen Ländern gibt es Horte oder Kindergärten für Dreijährige, während man in Frankreich da bereits in der Grundschule lernt. Ich stelle das zunehmend fest, seit ich Bürgermeisterin und für Schulen und Horte zuständig bin. Ein Kind, das in einen Hort geht, und ein Kind, das in die Grundschule geht - das ist ein Riesenunterschied. Die französische Besonderheit ist, dass man Frauen dadurch ermutigt, Kinder zu haben. Auch wenn das nicht ohne Schwierigkeiten bleibt. In einer Stadt wie Paris sind 15.000 Kinder auf der Warteliste für einen Krippenplatz – und die, die sich gar nicht erst bemühen, sind nicht mitgezählt. Die Welt: Sie beschreiben Deutschland als ein Land, das mit sich selbst versöhnt zu sein scheint. Wie sehen Sie Frankreich? Ist das Land mit sich selbst im Reinen? Dati: Wenn das Modell der französischen Republik gut funktioniert, dann ist sie "einig und unteilbar", es gibt keine Trennung in Bürger erster und zweiter Klasse. Im Idealfall ermöglicht dies Aufstiegsgeschichten wie die meine. Aber wenn das Modell krank wird, wenn es kriselt, dann reproduzieren sich Eliten nur noch selbst, es gibt keine Aufstiegsmöglichkeiten mehr. Und dann werden wir ein Land der Ungleichheiten. Das scheint mir das zu sein, was im Moment geschieht. Die Welt: François Hollande hat gerade in Algerien eine Rede gehalten und sich zum Leid bekannt, das die französische Kolonialherrschaft über das Land gebracht hat. Ist das ein Weg, die französische Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit zu versöhnen? Dati: Es gibt eine kleine politische Minderheit, die permanent verlangt, dass man sich für die Vergangenheit entschuldigt. Frankreich und Deutschland haben auch eine gemeinsame schmerzhafte Vergangenheit. Wir haben uns trotzdem an einen Tisch gesetzt und gemeinsam Europa aufgebaut. Man muss heute damit aufhören, Salz auf die Wunden zu streuen. Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Algerier heute Reue oder Entschuldigungen oder die Anerkennung ihrer Leiden erwarten. Es haben schließlich alle gelitten, auch die andere Seite. Die Algerier wollen heute etwas anderes. Ich habe vor Kurzem den algerischen Außenminister getroffen. Da geht es um wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ausbildungsprojekte für die Zukunft. Die Verträge, die jetzt unterzeichnet werden, gehen ja nicht nur auf François Hollande zurück. Das war auch das Ziel der Mittelmeerunion – ein Projekt, das Deutschland leider nicht sehr unterstützt hat, was ich schade finde. Man kann nicht immer nur allen Lektionen erteilen. Irgendwann muss man akzeptieren, dass man Partner hat und keine Untergebene. Die Welt: Sie finden, Deutschland erteilt gern Lektionen? Dati: Nein, aber ich erinnere mich daran, dass Frau Merkel den Prozess zur Bildung der Mittelmeerunion blockiert hat, weil Sarkozy am Anfang eine Organisationsform anstrebte, in der nur die teilnehmenden Mittelmeerländer vertreten waren. Und es wurde natürlich schwieriger zu stemmen, als Frau Merkel darauf bestand, dass alle europäischen Länder beteiligt werden. Dann haben sie auf einmal 48 Länder, und da wird es kompliziert. Politisch hapert es also bei der Mittelmeerunion, aber ökonomisch tut sich ja einiges. Es gibt das Solarenergieprojekt, Umweltschutzmaßnahmen für das Mittelmeer, große Datenhighways und kulturelle Projekte. Wenn Hollande heute Studentenaustausch-Programme ankündigt, dann sind das Pläne, die aus der Mittelmeerunion geboren wurden, um Ausbildung und Studienmöglichkeiten in den Mittelmeerländern zu verbessern. Uns ging es darum, Studenten auszubilden, die dann mit ihrer Ausbildung wieder in ihre Heimatländer zurückkehren könnten. Aber wenn man allen helfen will, hilft man keinem. Man muss weniger und gezielter helfen, um vielen zu helfen. Die Welt: In Deutschland hatte man eher das Gefühl, Frankreich wollte mit der Mittelmeerunion seinen Einfluss in der Mittelmeerregion einseitig ausbauen. Dati: Aber das ist vorbei. Die Länder im Maghreb akzeptieren schon lange keine Vormundschaft mehr. Aber Frankreich hat natürlich aufgrund seiner Geschichte eine enge Verbindung in Länder wie Algerien und Tunesien, die Deutschland nicht hat. Aber es ging ja nicht um Vorherrschaft, sondern darum, aufgrund dieser Geschichte eine Katalysatorenrolle zu spielen. Die Welt: Wie bewerten Sie den Zustand der deutsch-französischen Beziehungen zurzeit? Dati: Sie sind geschwächt aufgrund einer linken Politik, die unbedingt das Gegenteil von Sarkozy machen wollte. Aber wenn man ein Staatsmann ist, muss man sich über solche politischen Spielchen erheben. Man repräsentiert da draußen Frankreich. François Hollande ist der erste Präsident, der einen bereits beschlossenen europäischen Vertrag infrage gestellt hat. Das ist zuvor noch nie passiert. Und am Ende hat er dann doch den Vertrag unterschrieben, den Sarkozy ausgehandelt hat. Es war also viel Lärm um nichts. Die Welt: François Hollande behauptet aber, durch das von ihm hinzugefügte Wachstumspaket sei Europa "neu ausgerichtet" worden. Dati: Ah bon? Das können Sie in Deutschland vermutlich besser beurteilen. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass wir in Europa gerade großartiges Wachstum haben. Wo sind denn die großen Infrastrukturmaßnahmen, für die Project Bonds eingesetzt werden sollten? Da gibt es nicht viel. Das ist bedauerlich. Die Welt: Wie kommen wir denn Ihrer Meinung nach aus der Krise? Dati: Aus der Krise kommen wir mit Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Innovation. Dann sinkt die Arbeitslosigkeit. In Frankreich kritisiert man gern die deutschen Exportüberschüsse. Aber es nützt ja nichts, das zu nivellieren. Man darf nicht die Guten nach unten ziehen, man muss sich nach oben orientieren. Wenn man mit Deutschland gut kooperiert, kann man auch von seiner Stärke profitieren. Die Welt: In Frankreich spricht man gern vom "illoyalen deutschen Wettbewerb" und meint damit die relativ zurückhaltende Lohnpolitik, die auch die Gewerkschaften mittragen. Dati: Das ist manchmal paradox. Wir haben heute eine Krise in der Automobilindustrie in Europa. Hier gilt Volkswagen als Modell. Aber Volkswagen war ja auch mal in der Krise, hat seine Belegschaft und die Löhne reduziert. Heute sind sie wieder obenauf. Die Frage ist, ob wir dazu bereit sind. Die Welt: Warum tun sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Frankreich so schwer, Kompromisse zu finden? Dati: Bei uns funktionieren Gewerkschaften einfach anders. Aber selbst Bundeskanzler Schröder hat ja sechs Jahre gebraucht, bis er seine Reformen angegangen ist. Und am Ende hat er darüber sein Amt verloren, wenn er auch die Wahl am Ende fast noch gewonnen hätte – so ähnlich wie Sarkozy. Die Welt: Gut, aber er hat eine Kampagne gegen seine eigenen Reformen gemacht. Dati: Ja, so ist das politische Leben. Aber ich glaube, es gibt einfach kulturelle Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland. Wir können nicht alle Reformen gleichzeitig machen. Sarkozy hat begonnen zu reformieren, dann kam die Krise über uns. Für die Linke wird es nun noch schwieriger. Wir haben eine Jugendarbeitslosigkeit, die so hoch ist wie noch nie. Da können wir vom deutschen Ausbildungssystem viel lernen. Unter Sarkozy hatten wir begonnen, das System in diese Richtung umzuorientieren. Nun ist die Linke an der Macht und macht alles rückgängig. Stattdessen macht sie "Zukunftsverträge". Wissen Sie, was das ist? Das sind keine Arbeitsplätze im Markt, sondern in der öffentlichen Hand. Was auch nicht gerade hilft, ist, die Ausgaben zu reduzieren. Es ist eine Art Beschäftigungstherapie. Ich komme selbst aus einer Vorstadt, wo es 60 Prozent Jugendarbeitslosigkeit gab. Da gab es diese Verträge auch. Man geht da hin und wird fürs Kommen bezahlt. Die Eltern sind zufrieden, denn so wissen sie wenigstens, wo die Jungen sind. Bloß bietet das später keine Zukunft, denn nach zwei, drei Jahren kommt man da wieder raus und hat keine Ausbildung und keinen Job. Und all das wird von Steuern bezahlt. Da ziehe ich es vor, den Firmen Anreize zu bieten auszubilden. Wissen Sie, was das ist? Das sind keine Arbeitsplätze im Markt, sondern in der öffentlichen Hand. Was auch nicht gerade hilft, ist, die Ausgaben zu reduzieren. Es ist eine Art Beschäftigungstherapie. Ich komme selbst aus einer Vorstadt, wo es 60 Prozent Jugendarbeitslosigkeit gab. Da gab es diese Verträge auch. Man geht da hin und wird fürs Kommen bezahlt. Die Eltern sind zufrieden, denn so wissen sie wenigstens, wo die Jungen sind. Bloß bietet das später keine Zukunft, denn nach zwei, drei Jahren kommt man da wieder raus und hat keine Ausbildung und keinen Job. Und all das wird von Steuern bezahlt. Da ziehe ich es vor, den Firmen Anreize zu bieten auszubilden. Die Welt: Glauben Sie, dass die angekündigten Reform-Maßnahmen des Gallois-Berichtes etwas bewirken werden? Dati: Welche denn? Die Welt: Etwa die Steuererleichterungen für Betriebe, die Arbeitsplätze schaffen. Dati: Aber das ist ja schon eine Aufweichung der Vorschläge, die Ex-EADS-Chef Louis Gallois gemacht hat ... Die Welt: Der die Sozialabgaben senken wollte ... Dati: Das Ganze ist ein Luftschloss. Die Vorschläge sind so kompliziert, dass niemand deshalb neue Leute einstellen wird. Das einzig Konkrete sind 30 Milliarden Steuererhöhungen – und keinerlei Ausgabensenkungen. Das ist gefährlich. Es gibt kein Land, das eine Rezession nur mit Steuererhöhungen überstanden hätte. Damit würgen sie die Wirtschaft ab. Das ist das, was man in Frankreich gerade macht. Die Welt: Nun ist die Opposition auch nicht gerade in Bestform Dati: Ach. Das ist mir gar nicht aufgefallen. Dati: Wenn es sich um kleine Abgeordnete handelt, dann gelten die Regeln. Aber wenn es um diejenigen geht, die die Regeln gemacht haben, dann erfinden sie neue, das ist das, was schockierend ist. Es gibt einen Bruch, der soziologisch ist, nicht ideologisch. Wenn man sich für den Chef hält, bildet man sich ein, dass die Partei sich anpassen muss, nicht umgekehrt: Die, die unten sind, sollen sich gefälligst der Partei anpassen, denn wir leiten sie ja. Das ist eine harte Analyse, aber das ist leider die Realität. Die Welt: Und das gilt für Copé wie für Fillon? Dati: Ja, denn die haben sich gegenseitig da hineingezogen. Die Welt: Aber wer trägt Ihrer Meinung nach die größere Schuld an dem Desaster: Copé oder Fillon? Dati: Copé hat die ganze Zeit die Hand ausgestreckt. Die Welt: Nach einer gescheiterten Vorsitzendenwahl und vier Wochen der internen Streitereien, in welchem Zustand ist Ihre Partei, die UMP? Dati: Jean François Copé und François Fillon waren gezwungen, sich zu einigen. Das hat ihnen das politische Leben gerettet. Ihr eigenes, nicht das der Partei. Das ist brutal, was ich sage, aber das ist so. Die haben so getan, als hätten sie etwas geopfert, um die Partei zu retten, aber nein, sie waren dabei, sich zu verschleißen, und mussten sich selbst retten. Das war ihnen bewusst. Der Verschleiß betraf nicht nur ihr Image, denn die sind ja buchstäblich in den Graben gefahren. Die UMP ist nicht durch diese Einigung gerettet worden, sondern ihre beiden Verantwortlichen. Die Welt: Warum hat das vier Wochen gedauert? Dati: Wenn es sich um kleine Abgeordnete handelt, dann gelten die Regeln. Aber wenn es um diejenigen geht, die die Regeln gemacht haben, dann erfinden sie neue, das ist das, was schockierend ist. Es gibt einen Bruch, der soziologisch ist, nicht ideologisch. Wenn man sich für den Chef hält, bildet man sich ein, dass die Partei sich anpassen muss, nicht umgekehrt: Die, die unten sind, sollen sich gefälligst der Partei anpassen, denn wir leiten sie ja. Das ist eine harte Analyse, aber das ist leider die Realität. Die Welt: Und das gilt für Copé wie für Fillon? Dati: Ja, denn die haben sich gegenseitig da hineingezogen. Die Welt: Aber wer trägt Ihrer Meinung nach die größere Schuld an dem Desaster: Copé oder Fillon? Dati: Copé hat die ganze Zeit die Hand ausgestreckt. Die Welt: Außer, dass er keine Neuwahl wollte und auch kein Referendum über die Möglichkeit einer Neuwahl. Dati: Doch, er hat ja das Prinzip eines Referendums akzeptiert: Aber die Gegenseite wollte die Spaltung. Copé hat versucht, das zu verhindern. Die Welt: Glauben Sie, dass die Wunden, die diese Auseinandersetzung geschlagen hat, heilen werden? Dati: Das wird einige Zeit brauchen, sie werden sich sicher nicht morgen die Hand geben und sagen "alles vergessen". Aber Copé ist nicht nachtragend. So ist halt Politik. Zwischen Chirac und Sarkozy war es schlimmer. Das war fürchterlich, aber Sarkozy war trotzdem in seiner Regierung und ein wichtiger Minister. Die Welt: Sie selbst sind nicht eben sanft mit Fillon umgegangen. Sie nannten ihn "verdächtig und hochmütig". Dati: Man sagt immer, ich sei nicht sanft, aber war er es denn? Was ist denn der Ursprung dieses Mangels an Zärtlichkeit? Ich bin hier im siebten Arrondissement Bürgermeisterin, und normal wäre gewesen, dass ich diesen Wahlkreis bei den Parlamentswahlen erhalte. François Fillon hat eine Umfrage gesehen, die ihm voraussagte, dass er seinen alten Wahlkreis verlieren würde. Deshalb hat er sich einen neuen gesucht. Er hat nicht mit mir gesprochen, nicht einmal angerufen. Muss ich das akzeptieren? Das Problem ist, dass er nicht akzeptieren konnte, dass er verlieren würde. Warum sollte ich das stillschweigend hinnehmen? Die Welt: Aber am Ende haben Sie auf den Wahlkreis verzichtet. Dati: Ich habe das hingenommen, weil ich die Parteistatuten akzeptiere. Und weil ich, nachdem Nicolas Sarkozy verloren hatte, einer schweren Niederlage nicht auch noch Streit hinzufügen wollte Die Welt: Hat man Ihnen das gedankt? Dati: Fillon jedenfalls nicht. Die Partei schon. Die Welt: Was wäre denn der Unterschied zwischen einem UMP-Vorsitzenden Copé und einem Vorsitzenden Fillon? Dati: Es gibt einen, der die Partei nutzen will, um Präsident zu werden, und es gibt Copé, der mit den Mitgliedern verlorene Gebiete zurückgewinnen will. Das sind zwei verschiedene Konzepte. Die Welt: Und um die verlorenen Gebiete zurückzugewinnen, muss man sich als "komplexfreie Rechte" präsentieren, wie Copé das tut? Dati: Aber was heißt denn "komplexfreie Rechte"? Das heißt doch nur, dass man sich nicht schämt, rechts zu sein. Dass man bestimmte Werte hat, dass man die Arbeit der Unterstützung vorzieht, Autorität der Unordnung, Selbstverantwortung vor Opfermentalität, dass Leistung anerkannt wird. Die Welt: Warum hat die Hälfte der Konservativen ein Problem mit dieser komplexfreien Rechten? Dati: Weil manche sich nicht trauen, sich zur Rechten zu bekennen. Sarkozy hat mit einer populären Rechten gewonnen, die sich dazu bekennt, rechts zu sein. Die Welt: Glauben Sie auch wie Copé, dass es "anti-weißen Rassismus" in Frankreich gibt? Dati: Der ist abzulehnen wie jede Form von Rassismus. Er ist sicher nicht in der Mehrheit. Es gibt ihn, wie es auch antiarabischen oder antisemitischen Rassismus gibt. Die Welt: Sie würden ihn also dem Rassismus der Weißen gegen Schwarze oder Araber gleichstellen? Dati: Man muss gegen jede Form von Rassismus sein. Die Welt: Junge Araber, die Franzosen auf dem Schulhof das "pain au chocolat" im Ramadan verbieten – das war so eine Szene, mit der Copé Wahlkampf gemacht hat. Ist das ein realistisches Szenario? Dati: Das ist eine Anekdote, die er in einem Wahlkampfmeeting erzählt hat, darauf baut man keine Kampagne auf, aber es ist halt ein Vorfall, den man erzählen kann. Die Welt: Aber ist das eine realistische Beschreibung der Zustände auf Frankreichs Schulhöfen? Dati: Es ist vorgefallen, denn man hat ihm die Geschichte erzählt. Politik ist immer eine Echokammer für Ängste und Ungerechtigkeiten, die Menschen erleben. Diese Ungerechtigkeiten muss man beheben, Lösungen vorschlagen und Sorgen nehmen. Wir sind nicht der Front National, der so etwas anstachelt. Der Front National sucht einen Sündenbock. Wir glauben, dass es eine Realität gibt, der wir uns stellen. Der Front National glaubt, dass man die Realität zuspitzen muss, um die Franzosen gegeneinander aufzuhetzen. Das machen wir nicht. Die Welt: Haben Sie den Eindruck, dass der Wähler diesen feinen Unterschied noch bemerkt? Dati: Aber sicher, man sollte die Wähler nicht für dümmer halten, als sie sind. Der beste Beweis sind doch all die Umfragen, die Fillon vorab zum Sieger über Copé erklärt haben mit mehr als 60, 70 Prozent. Und dann kommt heraus, dass Copé gewinnt. Die Welt: Na ja, fast. Dati: Oder Sarkozy 2007. Die gesamte Presse hat ihn gehasst, aber er wurde so deutlich gewählt wie nie ein Präsident vor ihm. Mit einer historisch hohen Wahlbeteiligung. Das zeigt doch, dass die Franzosen in der Lage sind, sich selbst ein Urteil zu bilden. Die Welt: Wenn Sie draußen in den Vorstädten junge Wähler mit Migrationshintergrund treffen, wie finden die denn das Pain-au-chocolat-Beispiel? Und Ihre "komplexfreie Rechte"? Dati: Die können das als das einordnen, was es ist – eine Anekdote. Nicht als Politik. Die Welt: Sie glauben nicht, dass das den Eindruck verstärkt, in dieser Republik nicht erwünscht zu sein? Dati: Nein, weil man nicht Muslime, Franzosen und den Rassismus durcheinanderwirft. Man kann das schon auseinanderhalten. Aber diese Anekdote darf natürlich nicht verallgemeinert werden oder ein Kampagnenthema werden. Dann wird es gefährlich. Die Welt: Warum gefährlich? Dati: Weil man dann übertreibt und karikiert. Die Welt: Sie sind seit 2009 Abgeordnete im Europaparlament. Was haben Sie seither über Europa gelernt? Dati: Als ich ins Europäische Parlament ging, hatte ich davon eine ziemlich technokratische Vorstellung. Es hieß, es gebe immer nur Kompromisse, keine Debatten, keine Konfrontationen, aber das stimmt nicht. Das ist ein politisches Parlament, in dem das Gesetz des Stärkeren gilt. Und ich kann Ihnen sagen, die Deutschen sind ziemlich stark. Ich bin in der Industriekommission, und da geben die Deutschen den Ton an. Ich verstehe mich mit den deutschen Abgeordneten übrigens besser als mit den Franzosen. Die Welt: Wie kommt das denn? Dati: Die sind politisch interessant. Und außerdem gibt es in Deutschland mehr Respekt für das Europäische Parlament. Das ist in Frankreich nicht unbedingt so. Ich lerne jedenfalls viel von Ihren Abgeordneten. Vor allem, wie man verhandelt. Die Welt: Finden Sie, die Deutschen haben eine Tendenz, sich als Lehrmeister aufzuspielen? Dati: Im Parlament nicht. Da bieten sie Argumente, nicht Lektionen. Ob das gute oder schlechte Argumente sind, das ist eine andere Frage. Aber sie argumentieren jedenfalls. Sie bestimmen nicht einfach. Die Welt: Europa ist in vielen Ländern zum Sündenbock für die Krise geworden. Dati: Wenn die Politik keine Entscheidungen trifft, dann übernehmen die Technokraten. Das haben wir oft erlebt. Aber mit dem Vertrag von Lissabon hat die Politik wieder etwas das Heft in die Hand genommen. Das ist noch nicht perfekt. In der Außenpolitik etwa sind wir eine Null. Frau Ashton ist bei den wichtigen Themen absolut nicht präsent. Barroso ist auch nicht wirklich sichtbar, dabei ist das seine letzte Amtszeit, er könnte viel mutiger sein. Ich glaube, die nächste Kommission wird effizienter werden. Aber heute zu behaupten, Europa sei an allem schuld, das ist bloß Populismus. Die Welt: Was können Sie als Europaabgeordnete tun, um diesem Populismus entgegenzutreten? Dati: Im Parlament präsent sein und von den Kommissaren und dem europäischen Rat Rechenschaft verlangen. Das europäische Parlament ist die einzige Institution, die gewählt ist. Sie ist die einzige mit demokratischer Legitimation. Die anderen sind ernannt. Oft arbeitet der Rat mit der Kommission zusammen und stellt uns vor vollendete Tatsachen. Das haben wir mehr als einmal zurückgewiesen. Denn es ist eine Missachtung der Demokratie, und die Kommission hat sich zu lange eingebildet, dass sie der Demokratie nicht verpflichtet sei. Die Welt: Gerade während der Krise hatte man aber eher den Eindruck, dass es die Staatschefs sind, die die Entscheidungen auf den Gipfeln treffen. Dati: Das stimmt, aber es gibt Entscheidungen, die danach dem Parlament vorgelegt werden, und das Parlament ist souverän. Es kann gegen Projekte stimmen, die der Europäische Rat beschlossen hat. Die Welt: Glauben Sie, dass Europa gestärkt aus dieser Krise hervorgehen wird? Dati: Europa ist immer in Krisen gewachsen. Schwierige Situationen haben Entscheidungen hervorgebracht, der Zusammenbruch von Lehman Brothers führte zur Bankenaufsicht, zu unabhängigen Ratingagenturen, zur Regulierung des Finanzmarktes, zum Kampf gegen die Steuerparadiese. Es ist ja nicht so, als hätte Europa nichts getan. Im Bereich der Justiz haben die Attentate des 11. September sehr schnell zur Einführung des europäischen Haftbefehls geführt – nachdem man zuvor jahrelang verhandelt hatte. In Krisen kommt Europa also letztlich immer voran. Die Welt: Zwischen Frankreich und Deutschland gibt es gleichwohl einen kaum zu behebenden Grundkonflikt: Frankreich will mehr Solidarität, Deutschland verlangt im Gegenzug mehr "Integration", das heißt letztlich Souveränitätsverzicht. Ist Frankreich dazu bereit? Dati: Ich bin mit der Idee von mehr "Solidarität" einverstanden, aber man muss die Staaten kontrollieren. Ich bin bereit zu mehr Solidarität, zu Reformen und dazu, meinem Volk mehr Anstrengungen abzuverlangen, aber das nützt natürlich nichts, wenn der Nachbar nicht dieselben Anstrengungen unternimmt. Der europäische Rettungsfonds ist sicherlich ein Fortschritt, das ist eine Art europäischer IWF (Internationaler Währungsfonds). Solidarität ist eine gute Sache, die Bankenunion geht in die richtige Richtung, weil die Staaten weniger belastet werden. Aber es braucht trotzdem Haushaltsdisziplin. Die Welt: Wie sieht denn Ihre Vorstellung für ein gestärktes Europa aus: mit einem europäischen Finanzminister? Dati: Es geht nicht darum, neue Posten zu schaffen. Das Wichtigste ist, dass die Politiker ihre Arbeit machen. Wenn die Kommission damals im Fall Griechenland ihre Arbeit getan hätte, wären wir heute nicht da, wo wir sind. Es gab ja Mittel, Griechenland zur Ordnung zu rufen, als man entdeckt hat, dass die Rechnungen nicht stimmten. Aber man hat Griechenland nie sanktioniert. Wenn man Politik macht, muss man aber handeln. Wenn Sie ein schwacher Politiker sind, ändern da auch neue Posten nichts dran. Man braucht mutige Männer und Frauen. Voilà. Die Welt: Aber halten Sie es für eine realistische Hoffnung, dass irgendwann alle 27 Staaten so haushaltsdiszipliniert werden wie die Deutschen? Dati: Das Ziel ist ja von der gemeinsamen Wirtschaftsregierung nicht zu trennen. Es braucht also eine Harmonisierung. Wenn Sie eine Harmonisierung der Sozial- und Steuerpolitik hinbekommen, dann kann man das schaffen. Zumindest kann man die immensen Unterschiede reduzieren, die heute zwischen Deutschland und Griechenland bestehen, zwischen Frankreich und Portugal oder Spanien und England. Man kann die Abstände zumindest reduzieren. Und darüber hinaus darf man ja zumindest träumen. Die Welt: Wo fühlen sie sich mehr als Europäerin oder als Französin? Die Welt: Einer, der sich dieser Tage zum Weltbürger erklärt hat, ist Gérard Depardieu, der nach Belgien auswandern will, wegen der Steuern. Wie finden Sie das? Dati: Ja nun, von seinem speziellen Fall abgesehen, was mich stört, ist, dass die Regierung ihre Bürger beleidigt. Man kann sagen, dass man mit der Entscheidung nicht einverstanden ist, aber man kann nicht einfach Bürger beschimpfen. Man sollte sich die Frage stellen, warum sie gehen. Warum sie es satthaben. Gérard Depardieu meinetwegen, aber die Zahl der jungen Leute, die gehen. Das würde mich beunruhigen. Denn die sind entmutigt und haben das Gefühl, vor lauter Beschränkungen können sie nichts machen. Steuern, Bürokratie, alles ist überreguliert. Also gehen wir. Wir wollen frei sein und etwas unternehmen. Es schockiert mich mehr, dass die Jugend das Land verlässt als Gérard Depardieu. Aber man darf jemanden nicht so beleidigen und der Meute zum Fraß vorwerfen. So stachelt man zum Hass auf. Da muss man aufpassen. Die Welt: Aber finden Sie es in Ordnung, dass er das Land verlässt, damit er keine Steuern mehr zahlen muss? Dati: Nein, man kann natürlich sagen, dass es nicht gut ist, wenn er gerade in der Krise nur wegen Steuern geht. Frankreich hat Besseres verdient. Aber hat er es deshalb verdient, beleidigt zu werden? Es ist jemand, der nichts geerbt hat. Was er hat, hat er erarbeitet, er hat nichts gestohlen. Das kann man auch respektieren. Die Welt: Sie sind hier im siebten Arrondissement Bürgermeisterin, einem wohlhabenden Viertel. Wie sieht man den Fall hier? Dati: Die Leute sind zwar Patrioten, aber sie sind entmutigt durch diese Politik der Linken. Sie sind nicht zufrieden, dass man sie ohne Ende besteuert, und der Staat macht keine Anstrengungen, das Defizit zu reduzieren. Sie erhöhen die Steuern ausnahmslos, um neue Staatausgaben und Sozialleistungen zu finanzieren. Das ist keine gemeinsame Anstrengung. Deshalb verstehe ich, dass die Franzosen etwas zornig sind. Die Welt: Können Sie sich vorstellen, dass François Hollande sich noch in einen Reformer verwandelt – nach dem Vorbild Gerhard Schröders? Dati: Dann muss er sehr schnell damit anfangen. Denn wenn die Arbeitslosigkeit weiter steigt und es den Unternehmen noch schlechter geht, wird es immer komplizierter. Die Welt: Sie waren unter Nicolas Sarkozy Justizministerin. Wie bewerten Sie den Fall Kalinka. Ein Berufungsgericht hat gerade das Urteil gegen Dieter Krombach bestätigt. Dati: Ich glaube, das ist ein gerechtes Urteil. Wenn ich diesen Vater sehe, der sein ganzes Leben geopfert hat, um den Fall vor Gericht zu bringen. Es ist ein Fall, der uns dazu anregen sollte, eine einheitliche europäische Gerichtsbarkeit herzustellen. Es ist ja schon besser geworden, die europäischen Haftbefehle, gemeinsame Ermittlungen. Die Kooperation hat ja auch in diesem Fall dazu beigetragen, dass er verurteilt werden konnte. Die Welt: Und die Entführung eines deutschen Staatsbürgers nach Frankreich, weil die deutsche Justiz ihn nicht ausliefern wollte... Dati: Ja, aber der Vater wird sich dafür auch noch vor Gericht zu verantworten haben. Die Welt: Wenn Sie die fünf Jahre Sarkozy Revue passieren lassen, warum ist es ihm nicht gelungen, Frankreich in dem Maße zu reformieren, wie er wollte? Dati: Aber Sarkozy hat die Finanztransaktionen besteuert, er hat die Mehrwertsteuer erhöht – um die Sozialabgaben zu senken, er hat kurz vor der Wahl die Steuern auf hohe Einkommen erhöht – er hat nie aufgehört zu reformieren. Aber ein Staatsmann ist nun einmal gezwungen, sich der Lage anzupassen. Mit der Krise musste er seine Reformpolitik anpassen. Aber es stimmt nicht, dass er aufgehört hätte zu reformieren. Die Mehrwertsteuererhöhung, die er beschlossen hatte, muss die Linke jetzt schließlich doch selbst machen. Die Welt: Ihre eigene Beziehung zu Nicolas Sarkozy kannte Höhen und Tiefen. Wie ist sie heute? Dati: Wir sehen uns regelmäßig. Die Welt: Glauben Sie, dass Sarkozy 2017 noch einmal antritt? Dati: Alles ist möglich. Wir haben momentan keine Führung mehr auf der Rechten. Er bleibt der Beste. Er ist jung. Die Politik ist in seinen Genen. Alles ist möglich. Aber das ist letztlich eine sehr private Entscheidung. Und es wird von der Lage Frankreichs abhängen. In der Politik hängt alles immer von den äußeren Umständen ab. Die Welt: Was wäre Ihnen denn 2017 am liebsten: Präsident Sarkozy, Fillon oder Copé? Dati: Puh, das sehen wir dann, wenn es so weit ist. Die Welt: Für eine vergleichsweise geschlossene Gesellschaft wie die französische haben Sie eine außergewöhnliche Karriere gemacht. Was ist das Geheimnis ihres Erfolges? Dati: Das werde ich Ihnen sagen: Die Widerstandskraft. Die Welt: Wogegen? Dati: Gegen alle Konservatismen. Man liebt Sie, wenn Sie sich anstrengen. Dann wird man bewundert und ermutigt: "Gut so, machen Sie weiter." Aber sobald Sie etwas erreichen, will man Sie nicht mehr. Von da an tut man alles, um Sie zu zerstören. Um Sie zurückzuwerfen Die Welt: Wer ist "man"? Dati: Die kleine konservative Elite. Das hört nie auf. Deswegen habe ich dauernd Auseinandersetzungen. Dauernd. Man versucht, Sie kleinzukriegen. Sie zu entmutigen, damit Sie gehen. Deshalb: Es ist sehr viel Arbeit, um nach oben zu kommen, und es braucht sehr viel Widerstandskraft, um dort zu bleiben. Das wären die zwei Schlüsselsätze, wenn ich einen Rat zu geben hätte. Die Welt: Sie sagen, Sie haben dauern Streit. Ist das etwas, das Sie ertragen, weil es dazugehört, oder genießen Sie Streit gelegentlich? Dati: Nein, es gibt eine Sache, die unerträglich ist, das sind Gerüchte und Verleumdungen. Ich habe eine Familie. Man kann sich nicht vorstellen, wie verantwortungslos Journalisten sein können. Das ist die einzige Berufsgruppe, die völlige Immunität genießt. Sie schreiben alle möglichen Lügen und Behauptungen über Ihre Familie auf, ohne sich irgendeine Frage zu stellen. Dass man mich wegen meines Programms oder meiner Überzeugungen angreift, einverstanden, das ist Teil des Pakets. Aber dass man meine Nächsten angeht, dass ist nicht hinnehmbar. Die Welt: Sie haben mehrere französische Medien verklagt, die über ihre Vaterschaftsklage berichtet haben. Dati: Weil sie Gerüchte und Verleumdungen über mein Privatleben veröffentlichen, das ist ein schwerer Eingriff in mein Privatleben. Und nichts von dem stimmt. Die Welt: Zögern Sie manchmal Klage zu erheben, weil Sie ja in dem Moment, wo Sie Klage erheben, zwangsläufig Ihr Privatleben noch mehr in den Fokus rücken? Dati: Nein, weil man zeigen kann, dass das Lügner sind. Wenn ein Gericht eine Zeitung hart bestraft, hören sie vielleicht auf und prüfen beim nächsten Mal ihre Informationen. Aber wenn sie nur zu geringen Summen verurteilt werden, preisen sie das ein. Sie haben dann genug Ausgaben mit den Lügen verkauft, um das aufzufangen. Die Verurteilung ist mit einkalkuliert. Die Welt: Und Sie haben den Eindruck, dass Sie durch Klagen ihr Privatleben besser schützen? Dati: Das ist kompliziert, aber man darf keine offene Flanke bieten. Man darf sich nie exponieren. An dem Tag, an dem Sie ein kleines bisschen zeigen, sind Sie tot. Ich hab nie etwas gezeigt. Die Welt: Sie wollen 2014 für das Bürgermeisteramt in Paris kandidieren. Welche Vision der Stadt schwebt ihnen vor? Dati: Paris muss zuerst mal den Parisern wieder gefallen. Seit zehn Jahren verleidet man den Parisern ihre Stadt. Man macht Politik gegen Autos, gegen Junge, gegen Alte, es gibt nicht genug Kindergartenplätze und nicht genug Wohnungen. Seit zehn Jahren tut sich im Nahverkehr nichts. Wir müssen die Pariser mit Paris versöhnen und vor allem eine bessere Wohnungspolitik machen. Derzeit macht man sozialen Wohnungsbau mit arithmetischen Mitteln. Das heißt, man baut Sozialwohnungen ohne die nötige Infrastruktur. Wenn man nur sozial Schwache in Sozialwohnungen unterbringt, schaffen Sie Räume, wo nur Wohlfahrtsabhängige wohnen. Sie brauchen aber eine Mischung. Deshalb bin ich dafür, Sozialwohnungen mit Wohnungen für die Mittelklasse zu durchmischen. Und außerdem braucht man da, wo es Sozialwohnungen gibt, Schulen, Kindergärten und Sporteinrichtungen. Was den Nahverkehr betrifft, so muss der dringend modernisiert, sauberer und mit Klimaanlagen ausgestattet werden. Und man darf die Pariser nicht in den Wahnsinn treiben. Ich hab ja nichts dagegen, das Ufer der Seine teilweise für Autos zu sperren – aber irgendwie müssen die Leute auch noch zur Arbeit kommen. Die Welt: Jemand, der so Politik lebt wie Sie, kann der zwischen Weihnachten und Neujahr auch einfach mal abschalten? Dati: Als ich noch kein Kind hatte, habe ich zwischendurch immer die Nachrichten geguckt. Aber wenn man ein Kind hat, hat man eben noch eine andere Verantwortung, und man bezahlt irgendwann teuer, wenn man die nicht wahrnimmt. Meine Tochter verlangt mir mehr und mehr ab. Und wenn ich mit ihr zusammen bin, dann bin ich eben mit ihr zusammen. Ich bin bei einem kleinen Weihnachtsstück gewesen, bei dem sie mitgespielt hat. Eigentlich wollte ich danach wieder los, aber sie wollte, dass ich bleibe. Da bin ich geblieben, und ich glaube, dafür zwei Termine abzusagen, das war es wert. Und jetzt haben wir – glaube ich – zum ersten Mal, seit ich in der Politik bin, richtig Ferien und ich werde doch einige Tage mit ihr verbringen. Die Welt: Sie bringen also "maire" und "mère" – Bürgermeisterin und Mutter – unter einen Hut? Dati: Naja, das ist ein bisschen wackelig. Man muss das lernen, zum Beispiel, dass es manchmal besser ist, nicht nach Hause zu gehen und dann wieder zu verschwinden. Denn wenn Sie nach Hause kommen, will sie, dass ich bleibe und nicht wieder gehe. Also gehe ich manchmal nicht, wenn ich weiß, dass ich wieder gehen müsste und versuche stattdessen, ganz für sie da zu sein, so oft es geht. Die Welt: Man hat viel darüber geschrieben, dass Sie wenige Tage nach der Geburt ihrer Tochter wieder ins Ministerium zurückgekehrt sind. Glauben Sie, dass Sie dazu beitragen können, Bewusstsein dafür zu schärfen, was Mütter in Führungspositionen leisten können? Dati: Auf verschiedenen Ebenen: dass man verantwortungsvolle Posten ausüben kann als Mutter, aber auch unabhängig von der Herkunft und sozialen Prägung. Ich glaube, es ist nicht so sehr das Mama-Ding, als vielmehr aus einem absolut volksnahen Milieu zu stammen und diese verantwortlichen Positionen erreicht zu haben. Das kann Leute ermutigen. Aber es gibt viele, die es viel schwerer haben als ich. Eine Kassiererin, die keinen Kindergarten und keine Kinderfrau hat, hat es viel schwerer. Wenn ich drei Tage nach der Niederkunft wieder arbeite, dann weil ich Mitarbeiter habe. Und im Prinzip keinen Chef, der mich anmotzt, wenn ich müde bin. Ich bin sehr organisiert und habe Mitarbeiter. Aber es gibt Frauen, die das nicht haben, aber auch gleich nach der Geburt wieder arbeiten müssen. An die denke ich. DIE WELT, 25. Dez. 2012 |
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