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Rundblick |
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Das Ende der Nachkriegszeit |
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Das Ende der Nachkriegszeit für Deutschland (DIE WELT, 4. Juni 2012) Mauerfall und 9/11 hat Deutschlands alte Rolle in Europa überstanden. Doch mit der Euro-Krise wanken die Fundamente einer Ära. Die Bundesrepublik wird nicht mehr sein, was sie 60 Jahre sein wollte. Von Ulrich Machold und Hans Evert Es gibt viele Irrtümer, denen Europa in den Jahren der Euro-Krise erlegen ist. Einer der größten hat bezeichnenderweise nichts mit Geld, Schulden oder Spekulanten zu tun: Angela Merkel, so heißt es gern, verweigere eine große Rede zur Lage des Kontinents und durchdringe in ihrer Besessenheit von Sparsamkeit, Redlichkeit und anderen Hausfrauentugenden die Dimension der Dinge nicht, die auf dem Spiel stünden. Falscher kann man kaum liegen. Kostprobe vom 26. Oktober 2011: "Niemand sollte glauben, dass ein weiteres halbes Jahrhundert Frieden und Wohlstand in Europa selbstverständlich ist. Es ist es nicht. Deshalb sage ich: Scheitert der Euro, dann scheitert Europa." Der letzte Satz ist so etwas wie Merkels Mantra. Vorgetragen wird es von ihr seit 2010 bei praktisch jeder Gelegenheit. Der Satz klingt düster, nach Bedrohung und Epochenwandel. Er ist zu groß und pathetisch gemessen an Merkels üblichen Reden und zu unkonkret für die Ökonomen und Finanzjongleure, die sich händeringend die ganz große, endgültige und technisch einwandfreie Lösung der Krise herbeisehnen. Dabei muss man der Kanzlerin zugute halten, dass sie deutlich schneller als Andere erkannt hat, wofür die wilden Ausschläge der Finanzmärkte und die Pleitegeier über Griechenland, Portugal oder Italien wirklich stehen: für einen historischen Wandel, der lange nach Mauerfall und Erosion der Sowjetunion die Nachkriegszeit endgültig beendet. Es hat sich etwas verschoben in der angeblich so innigen Gemeinschaft der Europäer, das höchstwahrscheinlich kaum rückgängig zu machen ist. Bundesrepublik gibt den Ton an Deutschland ist nun in der Position, die Großbritanniens Eiserne Lady Margaret Thatcher schon durch die Wiedervereinigung anno 1990 fürchtete: Die Bundesrepublik gibt den Ton an – wenn auch nur notgedrungen. Die europäische Schuldenkrise hat das Land in eine Situation manövriert, die es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs weder wollte, noch je hätte durchsetzen können. Dass Frankreichs Präsident François Hollande dagegen ebenso Front macht wie der Chef der griechischen Linksradikalen, Alexis Tsipras, dass Italiens Mario Monti, die EU-Kommission oder der amerikanische Präsident Barack Obama allesamt versuchen, Merkel von ihrem Kurs des Sparens und Sanierens abzubringen, bestätigt diese Diagnose nur. Ohne Deutschland geht nichts in Europa. "Ultimately, Europe’s choice will be made in Berlin", schrieb der britische "Economist" unlängst. Auf nicht wenige wirkt das äußerst unheimlich – nicht zuletzt auf die Deutschen selbst. Denn was gerade geschieht, stellt tief verinnerlichte Grundsätzlichkeiten infrage. Deutschland, wie es nach dem Krieg entstand, ruhte politisch auf drei Säulen: Dem großzügig ausgebauten Sozialstaat, der außenpolitischen Zurückhaltung und vor allem der unwiderruflichen Bindung an den Westen als Zahlmeister der europäischen Einigung. Nun gerät die letzte dieser Konstanten ins Wanken. Und wie immer die Krise ausgeht – die Dinge dürften kaum wieder so werden, wie sie vorher waren. Begonnen hat der Prozess freilich schon vor Jahren. Als sich Gerhard Schröder im Frühjahr 2005 vor den Bundestag stellte und seine Agenda 2010 verkündete, markierte dies das Ende einer Gewissheit, die vielen Deutschen die wichtigste überhaupt war: Dass der Staat gesellschaftliche Gegensätze ohne Rücksicht auf die Kosten mit sozialen Leistungen zukleistert und einer breiten Mittelschicht steigenden Wohlstand zur Not auf Pump garantiert. Schröder kündigte den Gesellschaftsvertrag der alten BRD (wie sich nun herausstellt mit gutem Grund und enormem Erfolg). Deutschlands neue Rolle In der Außenpolitik gesellt sich der schleichende Rückzug der USA als globale Führungsmacht hinzu. Aus Geldnot und strategischem Interesse wendet sich Amerika Asien zu und hinterlässt in Europa ein Vakuum und interne Streitereien: Als die Allianz des Westens im vergangenen Jahr gegen den libyschen Diktator Gaddafi zu Felde zog, führte die deutsche Verweigerung zu einer handfesten Krise im Verhältnis zu Frankreich und Großbritannien, die die militärische Last fast allein tragen mussten. Am bedeutsamsten aber ist Deutschlands neue Rolle in der EU. Es ist eine ganz andere, als jene, die dem Land historisch zugedacht war. Seit ihrem Beginn in den 50er-Jahren war die europäische Einigung vor allem auch ein Vehikel, um die Bundesrepublik an die Länder anzunähern, die Hitlers Schergen mit Leid und Elend überzogen hatte. Europa, so wurden Konrad Adenauer, Robert Schuman, Jean Monnet und all die anderen nicht müde zu betonen, war eine Frage von Krieg und Frieden. Und die Deutschen, als Kriegstreiber der Vergangenheit, hatten den größten Anteil zu leisten – auch, um die Anderen davon zu überzeugen, dass sie es ernst meinten. Preis der Wiedervereinigung So akzeptierten alle deutschen Kanzler seit den 60ern die ökonomisch irre EU-Agrarpolitik – nicht zuletzt, um Frankreich und seine Bauern nicht zu verärgern. Sie schluckten Thatchers Erpressung des britischen Beitragsrabatts. Und sie stimmten der Währungsunion zu, als Preis der Wiedervereinigung. Mit dem Euro verband vor allem Frankreich die Hoffnung, die Macht der Bundesbank zu brechen, die in Europa damals de facto die Währungspolitik für alle bestimmte. Der Wirtschaftsriese Deutschland machte sich nicht nur politisch klein. Er zückte immer, wenn es kritisch wurde, auch das Portemonnaie, um anderen Ländern die Zustimmung zu "mehr Europa" gleichsam abzukaufen. Oft wirkte das wie eine Geste der Selbstlosigkeit. In Wahrheit war es das Gegenteil. Die Bundesrepublik entrichtete damit jenen Preis, den sie für Frieden und Wohlstand im ureigenen Interesse zahlen konnte und wollte. Antideutsche Ressentiments wachsen Jetzt ist diese Politik an ihr Ende gekommen, prompt wachsen antideutsche Ressentiments. Ein Stück weit liegt die Schuld daran in Berlin: Angesichts eines implodierenden griechischen Staatswesens und katastrophaler Arbeitslosigkeit in Spanien, Portugal oder Italien mutet die deutsche Besessenheit – unter keinen Umständen Inflation oder Euro-Bonds, ansonsten sparen, sparen, sparen - wahlweise beschränkt oder schlicht grausam an. Martin Wolf, Star-Autor der Londoner "Financial Times", brachte es unlängst auf den Punkt: "German leaders will have to choose between a shipwreck and a change in course" – die Deutschen haben nur die Wahl zwischen dem Scheitern des Euro und einem Kurswechsel. Was Wolf meint: Der Rest Europas wird die neuen Umgangsformen in Berlin nicht mehr lange tolerieren. Dass sich Journalisten in Athen nicht zu schade sind, Merkel als Nazi-Domina abzubilden, daran hat man sich fast gewöhnt. Aber auch aus Frankreich kommen seit Hollandes Amtsantritt Ansagen wie die, dass man von Madame Merkel keine Anweisungen mehr entgegen nehme. Und Monti fordert immer unverhohlener, in Berlin möge man "wirklich gründlich darüber nachdenken", sich schleunigst einen anderen Ansatz zuzulegen. Deutschland muss die Richtung vorgeben Nur hat man hierzulande kaum eine andere Wahl. Deutschland kann sich nicht mehr klein machen und in bewährter Manier für die Krisenstaaten bezahlen. Das mochte früher angehen, als auf dem europäischen Basar Finanzdinge viel mit Subventionen für Olivenbauern oder neuen Schnellstraßen und Brücken zu tun hatten. Heute übersteigt der Geldbedarf südeuropäischer Länder, ob direkt oder über den Umweg Euro-Bonds, schlicht die Potenz der Bundesrepublik. Stattdessen ist Deutschland gezwungen, die Richtung zu einer anderen Lösung der Krise vorzugeben, zu fordern und manchmal sogar zu drohen - also das exakte Gegenteil dessen zu tun, was deutsche Politik in Europa früher ausmachte. Die Anderen wollen gerettet werden, Berlin will sie zwangssanieren. Zwischen Deutschland und den anderen großen Ländern der EU wachsen die Interessensgegensätze. Und der Euro, der eigentlich einen Führungsanspruch des wiedervereinigten Deutschlands in Europa verhindern sollte, nötigt den Deutschen genau diese Führungsrolle jetzt auf. Deutschland ist Dominator wider Willen und wird diese Rolle so schnell nicht wieder los. Es sieht nicht so aus, als ließe sich das aktuelle Durchwursteln mit einem Rettungsschirm hier, einem Schuldenschnitt da, Bankenstützungen und Sparpaketen noch lange durchhalten. Entweder fliegt der Euro tatsächlich auseinander, oder Europa rettet sich in eine Fiskalunion. Staaten treten dann ihre Budgethoheit weitgehend ab und haften für die Schulden der anderen. Im ersteren Fall wären die Deutschen für die anderen Europäer wohl durch ihren Starrsinn und vermeintlichen Egoismus Schuld am Ende der Währungsunion. Im letzteren sähe Europa deutlich anders aus als heute – vor allem sehr viel deutscher. Denn ohne ein System nach den Regeln des Gläubigers dürften Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble keiner Schuldenunion zustimmen. Andernfalls würden die Wähler hierzulande sie auch umgehend aufs Altenteil schicken. So oder so, zur alten Rolle Deutschlands als reichem, ruhigem und im Zweifel nachgiebigem Partner gäbe es kein Zurück. Man hat nicht den Eindruck, als ob die Deutschen mehrheitlich darauf vorbereitet wären. Merkel und Schäuble, so viel scheint klar, streben zur Not die zweite Option an. Sie zimmern gerade den Rahmen dafür, mit vertraglich-verbindlichen Zusagen für Haushaltsdisziplin und Strukturreformen als letzte Verteidigungslinie. Wenn der Euro nur mit Euro-Bonds zu retten ist, dann wollen sie zumindest den Schaden dadurch begrenzen, dass sie den Anderen vorher das Schuldenmachen verbieten. Trotzdem liefe das natürlich auf eine Staatengemeinschaft hinaus, in der Europa- endgültig Innenpolitik wäre. Zermürbende Kämpfe wie die um die Agenda 2010 müssten in Zukunft zwischen Lissabon und Helsinki geführt werden. Ton und Inhalt europäischer Debatten wären politischer, aggressiver, kompromissloser. Und mittendrin die Deutschen, die mit der Hand auf der Kasse die Richtung vorgeben. Schwer vorstellbar, dass die Völker Europas so etwas hinnehmen würden. Doch was wäre die Alternative? Dass Euro-Zone und womöglich die EU zerbrächen? Würden sich die Staaten des Weltkriegskontinents aufs Neue lustvoll dem Nationalismus hingeben? Deutschland stünde dann wieder, wo es im Kaiserreich und zwischen den Kriegen stand: Zu groß und sperrig für eine Art Nordschweiz, zu klein und historisch radioaktiv für eine Rolle als monolithische Führungsmacht wie sie etwa die USA ausüben. Zweimal endete das in Katastrophen. Neue Machtfrage in Europa Nun klingt all dies nach einer düsteren Vision und überreichlich schwarz gemalt. Und natürlich ist längst nicht klar, dass es so weit kommen wird. Vielleicht vergeht die Krise gleichsam von selbst, vielleicht sparen Spanien, Italien und sogar Griechenland noch ein, zwei Jahre, dann zieht die Weltkonjunktur wieder an, und alles ist vorbei. Vielleicht verlieren die Finanzmärkte auch einfach die Lust am Spiel mit der Spekulation gegen einzelne Euro-Staaten. Vielleicht geraten China oder Indien mit aktueller Wachstumsschwäche und unerledigten Reformen demnächst in den Sorgenfokus. Kann alles passieren. Nur gibt es immer weniger Menschen, die daran glauben – und dafür immer mehr, die sich über die neue Machtfrage in Europa Gedanken machen. George Friedman etwa, Chef des einflussreichen amerikanischen Think Tanks "Stratfor", hat Deutschlands Dilemma kürzlich in einem Aufsatz klar benannt. Verrückt und undenkbar? Es sei nur schwer vorstellbar, schreibt Friedman, dass Europas Staaten Souveränitätsrechte an eine von Deutschland dominierte EU-Bürokratie abtreten würden. Allerdings sei es "ebenso schwer vorstellbar, dass Deutschland ohne Kontrolle für Schulden anderer Länder bürgt." Und schließlich "ist es praktisch gar nicht vorstellbar, dass sich diese beiden Sichtweisen miteinander vereinbaren lassen." Man müsse die Möglichkeit ernsthaft in Betracht ziehen, so Friedman, dass die grundlegende Struktur Westeuropas seit dem Krieg und die von ganz Europa seit 1991 nun zu einem Ende komme. Schlussendlich prophezeit er, Deutschland könne sich Russland als strategischem Partner zuwenden, wenn der Rest Europas mit ihm nichts mehr zu tun habe wolle. Das klingt ziemlich verrückt und undenkbar. Andererseits wird man das Gefühl nicht los, das Wort "undenkbar" in letzter Zeit ein paar Mal zu oft gehört zu haben. |
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