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Die  deutsche  Lektion

       
     
       
     

Die deutsche Lektion

       
     
       
     

Die deutsche Lektion

Sie sprechen zwar englisch, aber sie denken deutsch: Peter Watson erklärte seinen englischen Lesern ihre Prägung durch die gewaltige deutsche Geistes- und Kulturgeschichte von Bach bis Benedikt XVI. Nun liegt das Loblied auf die Deutschen in deutscher Sprache vor.

Im Jahre 1810 beendete Madame de Staël ihr Buch „De l’Allemagne“. Erscheinen durfte es unter Napoleon nicht. Als es drei Jahre später herauskam, machte es Furore und prägte für Jahrzehnte das Bild, das die Franzosen sich von Deutschland machten. Aber wesentlich auch das Bild, das die Deutschen sich von sich selbst machten. Es war ein romantisches, antimilitaristisches, antipolitisches Deutschland, ein Land der hochfahrenden Ideen, der begnadeten Dichter und Musiker.

200 Jahre später veröffentlichte Peter Watson „The German Genius“ und erklärt seinen angelsächsischen Lesern, sie müssten endlich begreifen, dass sie zwar Englisch sprächen, aber deutsch dächten. Ohne es zu wissen, natürlich. Alle zentralen Gedanken der Moderne seien in den vergangenen 250 Jahren am prägnantesten in Deutschland formuliert worden: von der Bibelkritik bis zur Quantenmechanik. Selbst das angelsächsische Gefühlsleben sei von Deutschland geprägt.

Die deutsche Übersetzung des Buches ist gerade bei Bertelsmann erschienen. Auf mehr als 900 Seiten singt Watson ein Loblied auf die Moderne und auf die Deutschen, ohne die sie nicht zu Stande gekommen wäre. Watson arrangiert immer wieder Szenen, die sich dem Leser einprägen, und er setzt Akzente, die wir heute gerne vergessen. Gleich zu Beginn betont er die Rolle des Pietismus, der Verinnerlichung der Religion, für die Herausbildung jener spezifischen Psyche und Psychologie, die große Teile der deutschen – vor allem der preußischen – Mentalität prägte. Watson trägt keine neuen Forschungsergebnisse vor, er macht sie – auch von vielen als überholt erachtete – fruchtbar für seine Geschichte.

Konkurrenz um die Genies

Bei Watson geht es nie um Ahnenkunde, sondern immer um Auseinandersetzung. Nichts geht einfach auf etwas zurück. Nichts ist ableitbar. Alles entsteht im Kampf. Dazu gehört auch die Kleinteiligkeit Deutschlands. Wer aus Göttingen ausgewiesen wird, kann in Tübingen, Jena oder Heidelberg unterkommen. Die kleinen deutschen Fürstenhöfe konkurrieren untereinander um die heimischen Genies, wie die italienischen Städte der Renaissance es taten. Man kann das Buch auch lesen als eine große Verteidigungsschrift für die Kleinstaaterei.

Madame de Staëls „Über Deutschland“ war ein antinapoleonisches Pamphlet. Die französische Emigrantin zeigte, was ein Land zu erreichen imstande war, das auf die imperiale Option verzichtete, und sie machte deutlich, dass Frankreichs Eroberungspolitik nicht Barbaren zivilisierte, sondern barbarisch eine Kultur zu zerstören suchte, die sich nicht zerstören ließ.

Peter Watsons Arbeit ist demgegenüber schwieriger geworden. Geist und Macht lassen sich nicht mehr so einfach gegeneinanderstellen. Watson interessiert, wie sie zusammenhängen, einander definieren und kritisieren. Natürlich entgeht ihm die berühmte Erklärung Schönbergs aus dem Jahre 1921 nicht, er habe etwas entdeckt, das die Vorherrschaft der deutschen Musik für die nächsten 100 Jahre sichern werde, nämlich die serielle Musik. Diese Äußerung ist vielleicht weniger affirmativ gemeint, als sie klingt. In ihr könnte sich Trotz ausdrücken. Eine Kritik am Antisemitismus. Im Sommer 1921 hatte die Gemeindeverwaltung von Mattsee – nahe Salzburg – Schönberg aufgefordert, den Ort zu verlassen. Begründung: Er sei Jude.

Eine gefährliche Spezies

„Der deutsche Genius“ ist eine gefährdete – und eine gefährliche Spezies. Watson sieht das natürlich. Seine Geschichte ist undenkbar ohne den Holocaust, aber nicht auf ihn zu reduzieren. Watson hat keine Abhandlung geschrieben. Er verzichtet nicht auf Argumente, vor allem aber erzählt er. Das macht den Reiz des Buches aus. Erzählungen leben von den Details. Und Watsons Geschichte vibriert vor Leben. Man legt sie nur schwer beiseite. Es steht so viel darin, von dem man nichts wusste. So viel Erhellendes, so viel, das bewegt. Die großen Linien verschwinden da manchmal. Und mit ihnen die Frage, die doch Anlass für das Buch war und seine ständige Triebfeder ist: die Frage nach dem Warum.

Trotzdem: So anregend hat lange niemand mehr einen Panoramablick auf die deutsche Geistesgeschichte der vergangenen zweihundertfünfzig Jahre geworfen. Eine Geistesgeschichte, die die Entwicklung vom Kontrapunkt bis zur seriellen Musik einschließt, zu der Joseph Beuys, Anselm Kiefer usw. gehören. Und natürlich Max Planck, Albert Einstein und Werner Heisenberg. Zur Moderne gehört die Kritik an ihr. Nirgends ist das, wie Watson zeigt, deutlicher zu sehen als in Deutschland. Genau darum aber empfiehlt er, die deutsche Erfahrung genau zu studieren:

„Was die Modernität betrifft, so ist Deutschland nicht nur eine ,verspätete Nation’, es ist auch eine zögerliche Nation. Aber vielleicht birgt dieses Zögern eine Lehre. Wenn Wissenschaft und Kapitalismus … die Zerstörung unserer Umwelt, ja unserer Erde, nicht verhindern können, wenn sie sogar der primäre Auslöser für diese Zerstörung sind, dann wird nur eine Veränderung von uns selbst, ein Wandel unseres Willens etwas bewirken können. Die Deutschen erklären uns, dass der Weg aus unserem Dilemma weder ein technischer noch ein wissenschaftlicher, sondern ein philosophischer ist: eine Frage unserer Lebenseinstellung.“ Damit ist Watson wieder sehr nahe an seiner Vorgängerin Madame de Staël.

Peter Watson: Der deutsche Genius. 
Eine Geistes- und Kulturgeschichte von Bach bis Benedikt XVI.   A. d. Engl. v. Yvonne Badal. 
C. Bertelsmann 2010, 1023 Seiten, 49,99 Euro.

       
               
               
     

       
               
               
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