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Regierung und Opposition betreiben eine Politik über die Köpfe der Menschen hinweg
Der Philosoph Karl Jaspers hat das so ausgedrückt: "Ein Volk wird reif zur Demokratie, indem es Politik treibt, indem es selber politisch aktiv ist.
Wenn man das Volk nicht in politische Tätigkeit hineinspringen lässt, gibt es keine Methode, wie es reif werden kann." (Reinhard Jellen)
Hans Herbert von Arnim über die Krise der parlamentarischen Demokratie in Deutschland
In seinem Buch, Die Hebel der Macht und wer sie bedient – Parteienherrschaft statt Volkssouveränität zeichnet der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler Hans Herbert von Arnim den Weg der Selbsterosion der Demokratie in Deutschland nach, die in der Gegenwart zu erheblichen Entfremdungsprozessen innerhalb der Bevölkerung führt.Der Parlamentarische Rat hat, als er das Grundgesetz 1948/49 konzipierte, den Parteien in Artikel 21 zwar zugebilligt, dass sie bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, diese also nicht beherrschen. Er hat aber keine wirksamen Vorkehrungen getroffen, dass die Parteien sich letztlich des Staates bemächtigen.
So sind sie an die Stelle der Bürger getreten und haben diese politisch faktisch entmündigt. Sie haben, wie schon der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker schrieb, sich den Staat zur Beute gemacht, indem sie sich fettfleckartig immer weiter ausgebreitet haben und auch in Bereiche vorgedrungen sind, in denen sie eigentlich nichts zu suchen hätten.
Hinzu kommt, dass in den ersten eineinhalb Jahrzehnten der Bundesrepublik die Parteienstaatsdoktrin von Gerhard Leibholz herrschte. Diese setzte Partei, Staat und Volk in eins, erstickte damit die Bekämpfung parteilicher Missbräuche und Fehlentwicklungen bereits im Keim. Diese unsägliche Doktrin dominierte lange auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in welches Leibholz von den Parteien immer wieder gewählt wurde und in dem er das Schlüsseldezernat "Parlaments-, Parteien- und Wahlrecht" als Berichterstatter innehatte.
Mit Leibholz‘ Doktrin stufte das Bundesverfassungsgericht die Parteien zu Verfassungsorganen hoch und segnete die starren Wahllisten ab, interpretierte den Artikel 21 Grundgesetz im Sinne seiner Parteienstaatslehre um und erklärte, ganz überraschend, so nebenbei in einem Urteil von 1958, die staatliche Parteienfinanzierung für zulässig.Parteien entscheiden über alle Regeln also 25 Millionen Euro mehr für Parteien
Es geht nicht nur um Selbstbedienung an den unermesslichen Ressourcen des Staates an Geld und Posten. Das Problem liegt tiefer. Die Parteien entscheiden in eigener Sache und im eigenen Interesse über alle Regeln und die Institutionen, die ihnen eigentlich Grenzen setzen sollten. Sie entmachten die Bürger und füllen selbst das dadurch entstandene demokratische Vakuum, liefern sich - wegen ihrer Abgehobenheit vom Volk - aber umso mehr dem Lobbyismus aus. Das alles geschieht über die Jahre und Jahrzehnte hinweg in Hunderten von kleinen Schritten.
Ein aktuelles Beispiel ist das von den Parteien ausgearbeitete Wahlrecht, das den Bundestag wegen Überhang- und Ausgleichsmandaten aus allen Nähten platzen lässt. Ein anderes Beispiel ist das sachlich unhaltbare Diätenblitzgesetz, das der Landtag von Baden-Württemberg im Februar in drei Tagen durch das Parlament gepeitscht hat. Aktuell ist auch das sachlich ebenfalls unhaltbare Diätengesetz, mit dem der Landtag von Rheinland-Pfalz sich im März schrittweise eine Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung um monatlich rund tausend Euro bewilligt und damit die Altersversorgung der Abgeordneten so erhöht hat, dass sie nach zehnjähriger Mandatszeit achtmal so hoch ist wie die Rente, die ein durchschnittlicher Arbeitnehmer im gleichen Zeitraum erwirbt.
Der politische Wettbewerb ist stumpf geworden
Die Parteien haben die Barrieren abgebaut und die Institutionen geschwächt, die Parteienmissbrauch eigentlich verhindern sollen. Die Gewaltenteilung greift nicht, weil Parlament und Regierung bei missbräuchlichen Entscheidungen etwa über Diäten oder Parteienfinanzierung meist an einem Strang ziehen. Die Mitglieder der Regierung sitzen ja ohnehin regelmäßig auch im Parlament. Auch der politische Wettbewerb ist stumpf geworden, und das Wahlrecht ist entwertet.
Zwar wird in Deutschland ständig gewählt: auf einer der vielen Ebenen unseres in Deutschland eingebetteten föderalistischen Gemeinwesens mit kommunaler Selbstverwaltung. So entsteht der Eindruck, die Bürger hätten unheimlich viel zu sagen. In Wahrheit aber haben sie kaum eine Wahl. In einem schleichenden Prozess betreiben Regierung und Opposition gemeinsam zunehmend eine Politik über die Köpfe der Menschen hinweg.
Es bedarf der Einübung in direkte Demokratie
Direkte Demokratie könnte eine Umkehr bewirken. Schon der Rechtsphilosoph Gustav Radbruch sah in ihr ein Gegengewicht gegen Parteienmissbräuche. Am wichtigsten erscheint mir die Erneuerung der öffentlichen Diskussion über die faire und bürgernahe Regelung von Wahl- und Parteienrecht, von Politikfinanzierung, Ämterbesetzung und direkter Demokratie.
Wichtig dabei ist, dass die Initiative zu direkt demokratischen Entscheidungen von unten erfolgt. Erfolgt sie von oben, droht sie nach Zeit, Gegenstand und Fragestellung machtpolitisch instrumentalisiert zu werden und im Ergebnis leicht zu einem Personalvotum für oder gegen den Initiator umfunktioniert zu werden. Es bedarf allerdings der Einübung in direkte Demokratie über längere Zeit, damit Bürger, Medien, Parteien und NGOs sich daran gewöhnen und politisch reifen können.
Der Philosoph Karl Jaspers hat das so ausgedrückt: "Ein Volk wird reif zur Demokratie, indem es Politik treibt, indem es selber politisch aktiv ist. Wenn man das Volk nicht hineinspringen lässt in politische Tätigkeit, gibt es keine Methode, wie es reif werden kann."
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