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Rundblick |
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Von wegen machtgeil Geizig, verbohrt, machtgeil: In der Schuldenkrise werden im Ausland Klischees über Deutschland aufgewärmt. Autoren aus der Schweiz, Großbritannien, Frankreich, Italien und den USA widersprechen. DIE WELT, 17. Juni 2012 Die Schweizer Perspektive Die Debatte um die Rettung des Euro und die Zukunft der EU ist schon seit einiger Zeit ziemlich eintönig. Ob Amerikaner, Franzosen, Briten oder die klammen Südeuropäer – alle fordern dasselbe: Deutschland soll mehr zahlen, die anderen halten die Hand auf. Die Bundesrepublik steht mit wenigen Gleichgesinnten wie den Niederlanden oder Finnland ziemlich isoliert da. Schlichte Gemüter unter Merkels europäischen Kritikern porträtieren die Kanzlerin mit Hitler-Schnauzbart und Nazi-Uniform. Die Gebildeten unter ihren Verächtern warnen, eine Hegemonialstellung Berlins schade langfristig auch deutschen Interessen. Doch der Vorwurf, die Bundesrepublik zwinge ihre Vorstellungen dem Rest des Kontinents auf, wird durch Wiederholung nicht wahrer. Die unendliche Geschichte der Euro-Rettung zeigt vielmehr, dass Berlin zwar immer wieder versuchte, Denkverbote zu errichten, indem es kategorisch eine Transferunion oder die Vergemeinschaftung der Schulden ausschloss. Unter dem Druck der Fakten machte die Bundesregierung aber immer wieder Konzessionen. Nachdem die Griechen mit Zahlungsunfähigkeit gedroht hatten, wurde das Hilfspaket aufgeschnürt und zu ihren Gunsten verändert. Spanien setzte gleich zu Beginn eine Verwässerung der Auflagen durch, als es gnädig die Hilfsmilliarden für seine Banken in Empfang nahm. Erpressung scheint sich in der Euro-Zone als vorherrschender Politikstil zu etablieren, aber daran sind gewiss nicht die Deutschen schuld. Die Bundesregierung machte allerdings den Fehler, die Gegenkräfte an den Wahlurnen zu unterschätzen und anzunehmen, eine demokratische Legitimation des angeblich alternativlosen Sanierungskurses sei überflüssig. Die Griechen, die am Sonntag wählen, haben das Gegenteil bewiesen. Keine Nation fügt sich umstandslos einem Diktat. Berlin scheint jetzt diesen Fehler wiederholen zu wollen, indem es fordert, eine Bankenunion könne es nur geben, wenn die Euro-Staaten Souveränitätsrechte an Brüssel abgäben. Wer das Budgetrecht, das Königsrecht der nationalen Parlamente, schmälert, höhlt die Demokratie in Europa aus. Solch ein Plan hat zudem keine Aussicht auf Verwirklichung, da er in mehreren Ländern durch Referenden gestoppt würde. Die Kritiker Berlins sollten allerdings den Volkswillen ebenfalls achten. Auch die Deutschen müssen die Währungspolitik mittragen können. Union wie Sozialdemokraten könnten alle Hoffnungen auf einen Sieg bei der nächsten Bundestagswahl begraben, wenn die Wähler den Eindruck erhielten, Kanzlerin und Kandidat seien bereit, die Haushaltsdisziplin aufzugeben. Wie im übrigen Europa glauben zwar auch in Deutschland viele an Wachstum als Allheilmittel, aber die Inflationsängste sitzen tiefer. Nicht nur die finanziellen Mittel Deutschlands sind endlich. Der politische Spielraum der Kanzlerin und der mit ihr in einem Boot sitzenden SPD ist genauso begrenzt wie der ihrer Partner, die fordern, Deutschland solle endlich mehr Flexibilität zeigen. Nur mit intakter deutscher Führung kann eine Lösung in der Währungskrise gelingen. Eine besondere Verantwortung trifft dabei Frankreich. Nur wenn sich beide Länder gegenseitig stützen, macht die EU Fortschritte. Durch seine wirtschaftliche Schwäche kann sich Paris zwar eigentlich nicht mehr gleichwertig neben Berlin behaupten. Sarkozy vermochte dies durch eine enge Abstimmung mit Merkel noch zu überspielen. Macht sich sein Nachfolger Hollande aber dauerhaft zum Sprachrohr der Habenichtse, marginalisiert er Frankreich weiter. Deutschland ist trotz des Geschwätzes von der hegemonialen Rolle nicht in der Lage, die EU-Zone alleine durch den Sturm zu steuern. Alle starren gebannt auf die Peripherie und rätseln, wohin die politischen Kapriolen in Griechenland noch führen werden. Doch ebenso wichtig ist, dass das Zentrum % der EU handlungsfähig bleibt. Eric Gujer ist leitender Redakteur der Neuen Zürcher Zeitung. Von 1998 bis 2008 war er Korrespondent in Berlin. USA-Perspektive – Europas Zugpferd Könnte es sein, dass Angela Merkel, Deutschlands dickköpfige Kanzlerin, mit Politik, Diplomatie und Geiz jetzt das erreicht, was Hitler vor sieben Jahrzehnten mit militärischen Mitteln misslang? Ist deutsche Dominanz in europäischen Angelegenheiten die wichtigste unbeabsichtigte Folge der heutigen Euro-Krise? Die kurze Antwort lautet: Ja und ja. Deutschland wurde widerwillig in die Führungsposition Europas katapultiert – sowohl in politischer als auch wirtschaftlicher Hinsicht. Eine gute Sache, wenn Sie glauben, dass ein starkes Ankerland notwendig ist, um Europa in schwierigen Zeiten Stabilität zu verleihen. Allerdings keine gute Sache, wenn Sie die Mittel nicht mögen, mit denen Deutschland diese Stabilität erreicht. Das Positive zuerst: Bei allem deutschen Beharren auf strukturelle Reformen, Austerität und Haushaltsdisziplin garantiert Berlin der Europäischen Union wichtige Kontinuität in einer Zeit voller Veränderungen. Die deutsche Erfolgsgeschichte ist der Klebstoff, der Europas wirtschaftlichen Zentrifugalkräften entgegenwirkt. Zum Beispiel importiert Deutschland Arbeitskräfte und entlastet dadurch die kollabierten Arbeitsmärkte seiner Nachbarländer. Laut einem Bericht sind beinahe zehn Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland Ausländer. Es könnte sein, dass das kühle Deutschland Europas Sonnengürtel ist, also die Rolle spielt, die südliche und westliche Staaten jahrzehntelang in den USA innehatten. Betrachten Sie Bayern als so etwas wie North Carolinas Forschungsdreieck. Doch die deutsche Vormachtstellung wird zum Problem, wenn sie die Furcht vor wachsender Arbeitslosigkeit und menschlichem Leid in Griechenland, Portugal und Spanien ignoriert. Der Anschein von Gleichgültigkeit führt zu nationalistischem Widerstand gegen Rettungspläne, einem Widerstand, der den sozialen Zusammenhalt in überschuldeten Ländern zerreißt, die Zeit und Nachsicht für die Umsetzung radikaler Reformen brauchen. Die Nachkriegs-Deutschen wussten schon immer, dass sie eine Gegenreaktion provozieren können, wenn sie sich in europäischen Fragen zu weit aus dem Fenster lehnen. Mehr als ein halbes Jahrzehnt lang fuhren sie sehr gut damit, unauffällig zu bleiben. Sie waren ein wirtschaftlicher Riese, aber ein politischer Zwerg. Dieses Theater ist nun vorbei. Merkels Deutschland hatte keine andere Wahl, als seine Führungsrolle zu akzeptieren, so unwohl es sich dabei auch fühlen mag. Und doch ist das Beschimpfen Deutschlands ein weit verbreiteter und gefährlicher Sport geworden, denn schließlich bringen Vorurteile rationale Argumente durcheinander. "Nur in Deutschland", schimpfte ein Leitartikel der "Washington Post" vor kurzem, "kann verantwortungslose Politik die Form von Selbstverleugnung annehmen". Es ist seltsam, dass einer ganzen Nation auf diese Weise nicht etwa eine Schuld vorgeworfen wird, sondern eine Tugend – die zudem auch in Österreich, den Niederlanden und Dänemark praktiziert wird, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Die Irish Times verspottete die sanftmütige Merkel – in ein Dirndl gekleidet und natürlich mit deutschem Akzent sprechend – als von Disziplin besessene Gouvernante, nicht als verantwortungsbewusste Haushälterin. Sogar Ann Romney, Ehefrau des designierten US-Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, kann ihren Groll auf einen Pferdetrainer ganz einfach damit erklären, dass er, Sie wissen schon, Deutscher sei. Im Konflikt der unterschiedlichen Herangehensweisen an Haushaltsdisziplin und kurzfristiges Wachstum könnten beide Seiten durchaus von ihren bisherigen Positionen abrücken. Der deutschen Dickköpfigkeit stehen die lockeren Versprechen des frisch gewählten französischen Präsidenten François Hollande gegenüber, der Eurobonds wie Wunderwaffen einsetzen möchte. Die würden die Deutschen dazu zwingen, einen Großteil der Schulden anderer zu übernehmen. Eine Sache ist jedenfalls zweifelsfrei: Deutschland ist, in den Worten des polnischen Außenministers Radek Sikorski, Europas "unverzichtbare Nation" geworden. Die Polen wissen, welche langfristigen Vorteile striktes Sparen bietet. Nach einer ökonomischen Rosskur in den 90er-Jahren überstand das Land die Rezession des Jahres 2008 beinahe schadlos und hat derzeit mit 3,5 Prozent die höchste Wachstumsrate in Europa. Die Polen haben jede Menge historische Gründe, der deutschen Vormachtstellung kritisch gegenüberzustehen. Und dennoch scheinen sie besser als alle anderen zu verstehen, welche Vorteile ein starker Nachbar bietet, der gerade die Früchte der Reformen des vergangenen Jahrzehnts erntet. Ein bisschen Nachahmung könnte den Wunsch, auf die alte deutsche Bestie einzudreschen, gut ergänzen. Wie auch immer: Im Guten wie im Schlechten ist Deutschland das Pferd, auf dem Europa in die Zukunft reitet. Der amerikanische Deutschland-Experte Peter Ross Range lebt als Journalist in Washington DC UK-Perspektive – Weder böse noch irrational Wie viele andere ausländische Kommentatoren auch, ertappe ich mich bei dem Wunsch, dass die deutsche Regierung in der Schuldenkrise der Eurozone weniger Sparwillen und mehr Flexibilität zeigen würde. Deutschland hat vom Euro profitiert. Nun muss sich Deutschland ein für allemal entscheiden, welchen zusätzlichen Preis es zu zahlen bereit wäre, um den Euro über Wasser zu halten. Was ich aber nicht nachempfinden kann, ist die zunehmend rachsüchtige Betrachtungsweise deutscher Politik, die sich in manchen Teilen der europäischen Presse ausbreitet, besonders in den Schuldnerländern einschließlich Großbritanniens. Obwohl ich mit vielen Aspekten der Berliner Regierungspolitik nicht übereinstimme, halte ich sie weder für böswillig noch für irrational. Natürlich neige ich dazu, die Situation aus dem Blickwinkel des Historikers zu betrachten. Mein Instinkt sagt mir, Deutschlands gegenwärtige Haltung mindestens teilweise im Lichte vergangener Traumata zu verstehen. Rasende Hyperinflation in den frühen zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts lähmte Deutschlands ersten Versuch parlamentarischen Regierens und hinterließ eine schwere Hypothek für eine Demokratie, die dem Faschismus nicht standhielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die deutsche Währung erneut beinahe wertlos. Die Weimarer Inflation, obwohl sie sich dem lebendigen Gedächtnis langsam entzieht, bleibt dennoch in der Psyche der Nation wie eingebrannt. Die Nachkriegszeit nach 1945 mit Tauschhandel und Entbehrungen bleibt allzu anschaulich für ältere Deutsche. Gerettet wurde die Situation erst im Jahr 1949 mit der Einführung der D-Mark, und zwar anhand strengster finanzieller Regeln, die ausschließen sollten, dass sich Geschichte wiederholt. Doch erklären solche politischen und volkswirtschaftlichen Debakel wirklich die aktuelle deutsche Unnachgiebigkeit, die heute bemängelt wird? Nein, das tun sie nicht gänzlich. Denn ich betrachte die heutige Lage auch aus der Perspektive eines Europäers, eines Schriftstellers, der mehr Zeit als die meisten meiner Landsleute beim Lesen, Denken und Diskutieren über den Kontinent und seine Probleme verbringt. Wenn ich diese Rolle des besorgten Bürgers annehme – und nicht "nur" die des Historikers – wird meine Sichtweise unweigerlich breiter und pragmatischer. Obwohl es richtig ist, dass die Suche nach einer starken und stabilen Währung die Wirtschaftspolitik der deutschen Regierungen seit Jahrzehnten bestimmt, kann diese Tatsache nicht erklären, wieso andere Gläubigerländer aus der Eurozone wie die Niederlande, Luxemburg oder Finnland, die unter keiner Hyperinflation litten , eine ebenso strenge Politik gegenüber den widerspenstigen Schuldnerländern verfolgen. In manchen Fällen sogar eine strengere. Es gibt hier ein echtes praktisches Problem, das von anderen Gläubigerländern geteilt wird. Der potenzielle Rettungsfond, der im schlimmsten Szenario benötigt würde, also wenn Italien, Belgien oder sogar Frankreich dringend Hilfe bräuchten, wäre so enorm, dass es kaum vorzustellen wäre. Mit anderen Worten, die mit AAA eingestuften Länder der Eurozone, einschließlich Deutschland, fürchten zu Recht, dass sich die Geldgrube, die sich unter ihren Füßen öffnen würde, in ein Fass ohne Boden verwandelt. Grenzenlose Haftung für die Schulden weniger verantwortungsvoller Länder als Belohnung für harte Arbeit und Selbstdisziplin? Das ist wahrlich ein Dilemma. Trotz unseres eigenen Schuldenproblems haben wir in Großbritannien langsam angefangen, strukturelle Reformen einzuleiten, besonders in Bezug auf Sozialhilfe und das Rentenalter, das irgendwann auf 67 Jahre angehoben wird. In dieser Hinsicht haben wir etwas mit Deutschland gemeinsam, ein Detail, das kaum bekannt ist. Über den Skandal der großzügigen griechischen Renten weiß man dagegen gut Bescheid. In Frankreich scheint sich die "Anti-Sparpolitik" des neugewählten Präsidenten Hollandes – anders als Investitionen in Infrastruktur oder Arbeitsbeschaffung – bis jetzt nicht als sinnvolle Maßnahmen zu entpuppen. Vielmehr scheint sie sich in der teueren und gänzlich unproduktiven Wiederherstellung eines Rentenalters von 60 zu erschöpfen! Deutschland hat es in der Vergangenheit eher vermieden, politisches Gewicht, das durch seine ökonomische Macht gerechtfertigt wäre, ins Spiel zu bringen. Nun ist es höchste Zeit, dass das Land seine Entscheidung trifft. Unterstützt Deutschland die Eurozone in der jetzigen Form oder wagt man in Berlin, Änderungen herbeizuführen, die jetzt vielleicht schmerzvoll sind, aber am Ende neue Möglichkeiten für Europa eröffnen? Die Lage ist gravierend, so gravierend, dass Deutschlands eigener Wohlstand auch bedroht wäre, sollten keine mutigen Schritte gewagt werden. Viele Deutsche sehen dies genauso. Unterdessen ist eines klar. Das aktuelle Fingerzeigen und Schuldgeben, das zurzeit anderswo in Europa gepflegt wird, besonders dann wenn es dunkles Geflüster über die Nazi-Vergangenheit beinhaltet, ist so vergeblich wie destruktiv. In der Tat, wenn es auf unserem Kontinent Nachklänge des Faschismus gibt, dann ist die Berliner Republik der letzte Ort, an dem diese zu finden sind. Deutschland, was auch immer seine Fehler der Vergangenheit waren oder die zukünftige Wirtschaftspolitik sein wird, % hat ein Recht, darauf, stolz zu sein. Deutschlands Freunde auch. Der britische Historiker Frederick Taylor hat mehrere Bücher über die jüngere deutsche Geschichte geschrieben, unter anderem über die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 und die Berliner Mauer. Italien-Perspektive – Italien lernt Deutsch Die europäische Schuldenkrise hat zumindest einen positiven Aspekt: Man lernt die Geschichte seiner Nachbarn besser kennen. Heute wissen viele italienische Zeitungsleser über die Weimarer Republik Bescheid. Sie verstehen den fast schon neurotischen Reflex der Deutschen beim Thema Inflation. Man ist auch bestens über die harte Sparpolitik von Reichskanzler Heinrich Brüning im Bild, die Anfang der 30er-Jahre zum Aufstieg von Kommunisten und Nationalsozialisten beitrug. Auch mit dem Begriff Ordoliberalismus sind mittlerweile viele vertraut. Das macht zwar die von Berlin aus verordneten Hausaufgaben nicht reizvoller, aber immerhin kann man jetzt fundierter argumentieren, warum man am Deutschen Wesen nicht genesen will. Während die Geschichtskenntnisse vertieft werden, funktioniert das italienische Kurzzeitgedächtnis nicht sehr gut. Kaum jemand erinnert sich, dass man vor nicht allzu langer Zeit noch über "den kranken Mann Europas" klagte – gemeint war Deutschland. "Nur wenn die deutsche Lokomotive wieder anspringt, kann auch die italienische Wirtschaft mitziehen", hieß es in den Medien. Nun spricht man neidvoll vom deutschen Wirtschaftswunder. Dass dieses "Wunder" nur möglich wurde, weil zuvor harte Arbeit und Einschnitte nötig waren, liest man nicht sehr oft. Wenn die italienische Wirtschaftszeitung "il Sole 24 ore" auf dem Titelblatt die Aufforderung druckt "Schnell, Frau Merkel", weil die Zinsen für die italienischen Staatsanleihen wieder rasant steigen, das Blatt aber gleichzeitig nicht auch die politische Klasse im eigenen Land ins Gebet nimmt, hinterlässt dies einen schalen Beigeschmack. Denn die Machtspiele in den römischen Palazzi sind wieder voll im Gange, das Vorspiel zu den im nächsten Frühjahr angesagten Wahlen, haben schon begonnen. Und so droht man Ministerpräsidenten Mario Monti mal von links, mal von rechts mit vorgezogenen Wahlen. Wie sich das alles auf das Image Italiens im Ausland auswirkt, hat vor einigen Tagen der ehemalige Botschafter Sergio Romano im "Corriere della Sera" auf den Punkt gebracht: Es wäre an der Zeit, auch andere Indexzahlen über das Wohlergehen Italiens zu berücksichtigen. Und zwar die, die das Defizit an Solidarität und nationaler Geschlossenheit messen sowie den Willen, die Krise diesmal nicht nur zu überstehen sondern das Land ein für alle Mal auf solide Fundamente zu setzen. Wäre es also nicht sinnvoller, statt wieder Vorurteile auszugraben, zu beweisen, dass es auch einen anderen, vielleicht weniger preußisch strengen, deswegen aber nicht minder soliden Weg gibt, dem Land wieder festen Boden unter den Beinen zu verschaffen? Sicher, der Weg ist steil, aber "Rom wurde nicht an einem Tag gebaut". Den Beweis, was man mit Fantasie aber auch Willen errichten kann, haben die Politiker in der ewigen % Stadt tagtäglich vor Augen. Andrea Affaticati schreibt in der Tageszeitung "Il Foglio" über deutsche Politik. Frankreich-Perspektive – Merkels Matriarchat Der symbolische Bruch mit der Vaterfigur Helmut Kohl hat aus Angela Merkel eine eigene politische Größe gemacht. Dadurch vollzog sich auch die unvermeidliche Anerkennung der Frauen in einem Deutschland, das vollständig mit der Demokratie versöhnt war. Denn nach 1945 waren es die Frauen, die in einem zerstörten Deutschland, deren Männer tot waren oder vom Krieg beschädigt zurückkehrten, die Last des Wiederaufbaus trugen, die Familien wieder herstellten, die Väter unterstützten und die Kinder in der Hoffnung auf eine bessere Welt erzogen. Irgendwann musste es also einmal eine der ihren - bezeichnenderweise unter dem Spitznamen "Mutti" - gelingen, jenes demokratische Matriarchat zu verkörpern, das die tief wirkende Logik der Entnazifizierung auf beiden Seiten der Mauer vorangetrieben hatte. Vor diesem Hintergrund gelangte also Angela Merkel in die Position, eine Bundesrepublik zu regieren, die dank des Mutes von Gerhard Schröder wieder auf den Pfad des Wachstums und der Wettbewerbsfähigkeit gefunden hatte. So fand sie sich, ohne dies in irgendeiner Weise angestrebt zu haben, an der Spitze ganz Europas wieder. Dabei handelte es sich ebenfalls um eine unvermeidliche Entwicklung. Nach fünfzehn Jahren eines hartnäckigen Ringens um die wirtschaftliche und geistige Einheit Deutschlands wurde dieses wieder die dominante Macht in Europa. Vielleicht konnte nur eine unnachgiebige, aber zugleich auch anpassungsfähige Persönlichkeit wie Angela Merkel eine solche Verwandlung auf sanfte Weise umsetzen. Denn heute erkenne ich bei Angela Merkel jene protestantische Pastorentochterqualität "gerissen wie Schlangen und zugleich sanft wie Tauben" zu sein, die sie bereits anwenden musste, als sie noch das FDJ-Hemd trug. Gerissen wie eine Schlange ist sie vor allem vor der manchmal nationalistischen und wehleidigen deutschen öffentlichen Meinung derer, die sich für nicht wohlhabend halten und die Früchte ihres Aufschwungs nicht teilen wollen. Sie unternimmt daher seit drei Jahren alle notwendigen kosmetischen Anstrengungen um kleinliche Deutsche wie Hans-Olaf Henkel, die davon träumen die D-Mark wieder einzuführen, ebenso zu isolieren und zu entwaffnen wie jene Samurais einer engeren Bindung an Russland, die sich mit Verachtung gegen jede "gemeinschaftliche Errungenschaft" stellen. Doch all dies ist nur eine List, denn schon 15 Jahre vor dem Fall der Mauer dachte Angela Merkel in ihrem Büro als Wissenschaftlerin in physikalischer Chemie mit Blick auf West-Berlin über die demokratische und moralische Überlegenheit des Westens über den Osten nach. Heute hat diese Taube deshalb keineswegs das doppelte Vermächtnis von Adenauer und Kohl zurückgewiesen. Sie wird ein föderales Europa schaffen und nicht ein Deutschland, das sich in einem unmöglichen monetären Protektionismus abschottet. Dazu muss allerdings noch die kommunistenfreundliche Arroganz des französischen Präsidenten weichen. Aber sie weiß ja, dass sie zur Erreichung ihrer Ziele über solide strategische Reserven verfügt: Die sozialdemokratische Partei und die realistischen Grünen, von denen sie letztlich nur die Festigkeit einiger ihrer Überzeugungen und die Kraft eines moralischen Gefühls trennt. Kurz, eine gewisse Form der deutschen Hegemonie ist auf dem Weg und dieses Mal hat sie – wie schon 1989 – gute Aussichten auf Erfolg, denn sie verbindet sich endlich mit dem Weimarer demokratischen Ideal in der Zeit und jenem der aktuellen europäischen Union im Raum. Alexandre Adler ist Experte für internationale Beziehungen und Kolumnist der französischen Tageszeitung "Le Figaro" WON © Axel Springer AG 2012. Alle Rechte vorbehalten
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