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Werbeexperte Roberts--Deutschland soll fuehren
Vorbemerkung CN: Die Headline der WELT zu diesem Artikel haben wir leicht verändert, weil uns die abfälligen Äußerungen von Kevin Roberts über Frankreich nicht für objektiv und dergestalt wie geäußert auch nicht für gerechtfertigt halten. Alles in allem sind seine Darstellungen jedoch interessant. Wer mit der Werbebranche zu schaffen hat, was für manche im CN-Kreis zutrifft, liest den nachstehenden Artikel, resp. das Interview, nicht ohne Interesse, wenngleich man in diesem oder jenem Punkt sicher auch anders denken kann. Fraglos trifft zu, dass französische Regierungen sich seit Jahrzehnten um notwendige Reformen herumdrücken, und dass die gegenwärtige hofft, Deutschland für die Fehler zahlen lassen zu können. Doch das Prinzip, Wählerstimmen de facto zu kaufen, ist ein Leiden aller westlichen Demokratien. In Deutschland, Österreich oder der Schweiz mag dies weniger ausgeprägt sein als etwa in Frankreich, aber prinzipiell herrscht diese Unart überall. Werbeexperte Roberts: "Deutschland soll führen" Die Deutschen sollten aufhören, sich im Weg zu stehen, fordert der Chef der Werbeagentur Saatchi & Saatchi, Kevin Roberts. Er schlägt zwei Strategien vor, wie sie Europa führen könnten. Von Ulf Poschardt DIE WELT, 11. Nov. 2012 Der Teller ist bis an den Rand mit gekochtem Schinken, Würsten und Kassler belegt. Kevin Roberts strahlt: "Proteine, Proteine, die pure Kraft." Im Clubraum des Berliner "Ritz-Carlton" wurde wohl selten etwas derart Anti-Vegarisches serviert. Roberts, der CEO von Saatchi & Saatchi, trägt ein bizarr geknöpftes Hemd der Marke John Lennon und dazu Jeans. Sein kahler Kopf wirkt wie frisch poliert. Mit seinem heftigen nordenglischen Akzent erinnert er an die Fußballfans von der Insel, die man besser nicht ärgert. Berühmt wurde er als Pepsi-Vorstand, der auf der Bühne eine Coke-Maschine mit einer Maschinenpistole in Trümmer schoss. Welt am Sonntag: Barack Obama hat gewonnen. Kevin Roberts: Amerika hatte die Wahl: Das waren echte Alternativen, anders als in Europa. Obama ist ein linksliberaler, europäischer Politiker, der gern Schulden macht. Romney dagegen war ein reiner Wirtschaftsmann mit Hardcore-rechter Gesinnung. Keiner der beiden genießt Liebe, Respekt und Bewunderung. Obama hat mit seinen Hoffnungen und dem Gerede vom Wechsel das Herz Amerikas verloren. Mitt Romney auf der anderen Seite wirkte wie eine Karikatur, er agierte wie ein Roboter. Er hat nichts Sinnliches, Geheimnisvolles, ein Intimleben kann man sich nicht vorstellen. WETTBEWERBSFÄHIGKEIT In Sachen Wettbewerbsfähigkeit rutschte Frankreich in diesem Jahr um drei Ränge auf den 21. Platz ab, fand das World Economic Forum bei seinem weltweiteren Standortvergleich heraus. Zum Vergleich: Deutschland belegt Rang sechs. Auch die kleineren Nachbarn Niederlande (5.) und Belgien (17.) liegen noch vor der „Grande Nation“. Zwar gehört die Infrastruktur in Frankreich weiter zu den besten der Welt. Aber der Arbeitsmarkt wird als zu starr empfunden, das Steuersystem als zu wirtschaftsfeindlich: Hier belegt Frankreich nur die Ränge 111 und 128. INDUSTRIE Während die deutsche Industrie in Deutschland eine Renaissance erlebt, befindet sie sich beim Nachbarn auf dem Rückzug. Nur noch 12,6 Prozent trägt sie zur Bruttowertschöpfung bei, in Deutschland dagegen mehr als doppelt so viel (26,2 Prozent). Ein Grund dafür sind die Arbeitskosten: Im Schnitt kostet eine Stunde Arbeit in der deutschen Privatwirtschaft 30,10 Euro, in Frankreich dagegen 34,20 Euro, fand das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft heraus. MINI-WACHSTUM Entsprechend düster sind die Konjunkturaussichten: Lediglich ein Mini-Wachstum von 0,1 Prozent traut der Internationale Währungsfonds der zweitgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone zu. 2013 sollen es mit 0,4 Prozent nur unwesentlich mehr sein. Zum Vergleich: Die deutsche Wirtschaft dürfte sowohl in diesem als auch im kommenden Jahr um 0,9 Prozent wachsen. Entsprechend düster sieht es auch am Arbeitsmarkt aus: Die Arbeitslosenquote liegt bei 10,8 Prozent – in Deutschland ist die nach internationalen Standards berechnete Quote nicht einmal halb so hoch. SCHULDEN Dem Staat sind wegen der hohen Verschuldung die Hände gebunden – er muss sparen: Während Deutschland kaum noch neue Schulden macht, dürfte das Defizit in Frankreich sowohl in diesem als auch im kommenden Jahr über der in den EU-Verträgen verankerten Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes bleiben. Der Schuldenberg wird nach Prognose der EU-Kommission bis 2013 auf 92,5 Prozent der Wirtschaftsleistung wachsen. Erlaubt sind eigentlich 60 Prozent. Zwischen 1992 und 2007 lag er im Schnitt noch bei 57,7 Prozent. Welt am Sonntag: Er sieht aus wie Max Headroom. Roberts: Der hat bei MTV auch nur für ein Jahr funktioniert. Aber zurück zu den US-Wahlen. Mitt Romney hätte den Europäern, deren ökonomisches Schicksal eher in China und den Vereinigten Staaten entschieden wird, Hoffnung auf eine sich erholende US-Konjunktur gegeben. Der Sieg Obamas beschert Europa vier Jahre Schmerz. Welt am Sonntag: In Deutschland jubeln mehr als 90 Prozent über den Sieg Obamas. Nur drei Prozent waren für Romney. Roberts: Es ist selbstmörderisch, wenn man die Entscheidung auf das Ökonomische reduziert. Er ist cool und schwarz, und das ist, was die Deutschen in ihm sehen. Auch sein Wahlkampf war mies. Vor vier Jahren machte er keine Kampagne, sondern war getragen von einer Bewegung. Das "Yes we can" war ein fantastischer Slogan, es verband ein Wirgefühl mit einem Versprechen für die Zukunft auf nahezu ideale Weise. Dieses Versprechen war getragen von Hoffnungen und Träumen und von einer Jugend in den USA, die all das herbeisehnte. Dieses Mal machte er so viele Fehler. Besonders die negative Art, wie er mit Romney umging, war unwürdig. Der republikanische Herausforderer war ein Wackelpudding. Und ein Grundgesetz der Werbung lautet: Sei einfach und klar. So wie wir das damals bei Margaret Thatcher gemacht haben: "Labour isn’t working". Das versteht jeder. Da beide Kampagnen mies waren, hat derjenige gesiegt, der die meisten Wähler mobilisieren konnte. Welt am Sonntag: War je ein Präsident das, was Sie in Ihrem Buch "Lovemark" nennen, eine mit Emotionen aufgeladene Marke? Roberts: Nur John F. Kennedy war so eine Lovemark. Er wurde respektiert und geliebt. Bill Clinton wurde geliebt, aber wegen seiner Affären nicht wirklich respektiert. Auch bei Obama fehlt der Respekt, seine wirtschaftliche Bilanz ist zu schal. Zudem hat Obama im Laufe seiner ersten Legislaturperiode den Kontakt zu den Menschen verloren. Er hat doziert und nicht den Dialog gesucht. Bei einem Thema wie Medicare, der Krankenversicherung für Senioren, ist das eine Art Todsünde. Das Weiße Haus hat mich deswegen angerufen, als sie ahnten, dass es mit der Wiederwahl eng werden könnte. Mein Rat war einfach: Der Präsident muss mit den Bürgern reden und nicht referieren wie in einem Politologie-Seminar. Die Krankenversicherung ist eine Herzensangelegenheit – es geht um große menschliche Themen wie jene Angst, ob ich meinen Eltern oder mir im Krankheitsfall eine Behandlung bezahlen kann. Welt am Sonntag: Wie sehen Sie Deutschland? Die Deutschen reden und denken vor allem schlecht über sich … Roberts: Die Deutschen sollten aufhören, sich im Weg zu stehen. Wir verlegen gerade riesige Einheiten unseres Geschäfts nach Berlin, weil es hier eine wahre Explosion von Kreativität und Internationalität gibt. Deutschland erscheint als ein zunehmend kreatives Land. Und das fängt mit der wunderbaren Fußballnationalmannschaft an, die bunt und genialisch ist und spielt. Das 4:4 gegen Schweden war grandios. Sie spielen so frei und kreativ, ähnlich kreativ ist die Werbung. Und schließlich führt Deutschland im Augenblick Europa. Welt am Sonntag: Aber die Deutschen wollen nicht führen. Ist das dumm? Roberts: Leadership kennt ganz unterschiedliche Formen. Die Deutschen sollten auf zwei Weisen führen. Erstens durch eine Rolle des dienenden Führers, das ist das, was Angela Merkel ganz hervorragend macht im Augenblick. Die Art, wie sie sich kleidet, wie sie spricht und wie sie sich gibt, hat etwas Gewöhnliches im guten Sinne, das Vertrauen bildet. Sie hat keinen nationalistischen und chauvinistischen Unterton. Würde sie so auftreten wie dereinst Margaret Thatcher, sie wäre sofort erledigt. Aufgrund Ihrer Geschichte können Sie als Deutsche niemals Konfrontation als Strategie wählen. Das hat Merkel verstanden. Welt am Sonntag: Was ist die zweite Form von Leadership, die für uns denkbar ist? Roberts: Kreativität. Und gerade ist ein großer Moment dafür. Spanien hat keine, Frankreich hat keine neuen Ideen seit 1775. Frankreich ist überhaupt ein Desaster, die haben vielleicht noch 175 Käsesorten, aber das war’s dann auch. Und François Hollande vertreibt alle Reichen aus dem Land. Frankreich ist ein Albtraum, sie haben sich ihren neuen Präsidenten echt verdient. So funktionieren Demokratien. In England ist die Idee von Cool Britannia zerstört, durch den News-Corp-Skandal hat die Politik in England an Glaubwürdigkeit verloren. Und hier kommt Deutschland, das von der mittelständischen Industrie bis hin zu den großen Konzernen kulturelle Diversität aufgesaugt und für sich verstanden hat. Zudem hat das Land mit Berlin die im Augenblick vielleicht interessanteste Stadt Europas zu bieten. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr dieses Berlin uns alle elektrisiert, weltweit. Das Soho-House hier ist mittlerweile besser als das Original in London oder New York. Welt am Sonntag: Schön, aber wie geht "Creative leadership"? Roberts: Es geht um Ideen, und Deutschland produziert mit seinen Betrieben und Fabriken mehr Ideen als der Rest Europas. Dieser Wahnsinn in Frankreich und England, sich vorlaut zu deindustrialisieren, um Teil der futuristischen Wissensgesellschaft zu werden, ist gescheitert. Diese Idioten, all die großen Ideen, was das betrifft, kommen aus Silicon Valley. Die deutschen Familienunternehmen, die kleinen, fleißigen Betriebe hier, bilden ein beeindruckendes Wissensnetzwerk. Hinzu kommt die föderale Struktur: Wir hätten hier gern nur eine Agentur im Land, aber das geht nicht. Wir brauchen drei. Weil Deutschland viele Zentren hat. Und das Verrückte ist, die Deutschen sind nicht zufrieden. Sie suchen weiterhin fieberhaft nach Innovation. Und die deutschen Ingenieure sind die besten der Welt. Welt am Sonntag: Fahren Sie ein deutsches Auto? Roberts: Nein, eine 65er Corvette Stingray. Zur Arbeit kam ich heute in einem deutschen Auto. Welt am Sonntag: Angela Merkel investiert null in ihr Image. Ein Fehler? Roberts: Im Augenblick: nein. Ob sie die richtige Repräsentantin Deutschlands für den nächsten Schritt ist, wage ich zu bezweifeln. Der nächste deutsche Leader wird charismatischer sein und die Deutschen stolzer machen wollen, ohne dabei arrogant zu wirken. Es ist lässig, dass Merkel ihr Image derart egal ist. Welt am Sonntag: In der Werbung haben sich deutsche Firmen weltweit nur über sich selbst lustig gemacht. Eine Popband wie Kraftwerk hat das gemacht und VW mit seiner amerikanischen GTI-Reklame mit dem verrückten Forscher aus Deutschland. Sie arbeiten ähnlich wie Rammstein mit alten Vorurteilen. Roberts: Das ist eigentlich überholt. Die ganze Welt muss nach Berlin und sehen, wie sich das Land verändert. Die alten Marketing- und PR-Konzepte sind aufgebraucht. Es geht darum, emotionale Bewegungen – und nicht Marken – zu generieren. Will jemand ernsthaft einer Merkel-Bewegung beitreten? Eher nicht. Aber Berlin hat jede emotionale Basis für eine weltweite Zuneigung. Berlin selbst macht im Augenblick nichts daraus. Berlin ist eine Stadt in einem dramatischen, aufregenden Wandel, vergleichbar nur mit San Francisco in den 60er-Jahren. Das ist keine fingiert kreative Stadt wie Glasgow oder Barcelona, sondern eine substanziell kreative Metropole. Die Musik, die Mode, die Kunst, die Architektur wird weiter an Bedeutung zulegen. Mein jüngster Sohn ist 27, er macht Filme und deejayt. Er promoviert gerade über Sportmanagement und kommt, wann immer es sein Terminkalender zulässt, nach Berlin, so wie all seine Freunde. Für die ist Berlin der coolste Ort der Welt. Und in den sozialen Medien, im Netz, gibt es jene Begeisterung über Berlin wie vor vier Jahren über Obama. Es ist jene Woge, die ihn in das Weiße Haus getragen hat. Welt am Sonntag: Machen Sie Meetings, sind die gut für Kreativität? Roberts: Ich mach keine. Meetings sind Zeitverschwendung. Dinge werden nie im Konsens geschaffen, sondern ausschließlich durch Schmerz und Leidenschaft. |
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